Satz von Gauß

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Physikalischer Kontext

Der Satz von Gauß, auch Gaußsche Gesetz oder Gaußscher Satz genannt, ist eine der vier Maxwell-Gleichungen. Er bietet eine sehr einfache Möglichkeit zur Berechnung des elektrischen Feldes für Ladungsverteilungen mit hoher Symmetrie. Es ist die mathematische Formulierung der Erkenntnis, dass elektrische Feldlinien nicht aus "dem Nichts" entstehen können oder "ins Nichts" verschwinden können. Statt dessen entstehen sie in den positiven Ladungen ("Quellen") und verschwinden in den negativen Ladungen ("Senken", "Abflüsse"). Nun sucht man jedoch im Satz von Gauß vergeblich nach Feldlinien, was einen nicht wundern sollte, denn Feldlinien entsprechen keiner physikalischen Realität. Statt dessen steht darin eine neue, sehr abstrakte Größe: der elektrische Fluss. Doch so, wie man sich Feldlinien als Anschaungshilfe vorstellen kann, kann man sich auch den elektrischen Fluss als Anzahl der Feldlinien vorstellen, die eine bestimmte Fläche durchbohren. Diese Anschaungshilfe ist sehr hilfreich, auch wenn sie keiner physikalischen Realität entspricht.

Mathematische Formulierung

Der elektrische Fluss

Abb.1 Flächenvektor und Feldvektoren

Im Satz von Gauß kommt der

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elektrische Fluss $\Phi_E=\int\limits_A \vec E \cdot d\vec A$ (Gl.1)

vor. Deshalb sollten wir zuerst diese neue physikalische Größe kennenlernen. Der elektrische Fluss ist ein Maß dafür, welche elektrische Feldstärke $\vec E$ durch eine gegebene Fläche A dringt. Er ist als Skalarprodukt zweier Vektoren definiert. Ein Feldvektor \(\vec E\), der parallel zur einer Fläche liegt, durchdringt sie nicht. Deshalb beschreibt man Flächen über Flächenvektoren \(\vec A\), um die Richtung zwischen Feld und Fläche erfassen zu können. Abb.1 zeigt den Flächenvektor, der immer senkrecht auf seiner Fläche steht, sowie drei Feldvektoren. Die beiden vorderen Feldvektoren durchdringen die Fläche, der hintere nicht. Er erzeugt keinen Fluss durch die Fläche (\(\vec E \perp\vec A\), wodurch das Skalarprodukt verschwindet). Die beiden vorderen erzeugen einen Fluss, jedoch mit unterschiedlichen Vorzeichen.

Der elektrische Fluss ist eine sehr abstrakte Größe. Er beschreibt trotz des Names "Fluss" keine Bewegung oder Strömung. Häufig wird er über Feldlinien veranschaulicht. Dann ist er ein Maß, wie viele elektrische Feldlinien eine Fläche durchstoßen. Alternativ kann man ihn auch über elektrische Feldvektoren veranschaulichen. Dann ist er ein Maß, welche Feldvektoren mit welcher Feldstärke eine Fläche durchbohren.

Verständnisfrage 1: Bestimme die Vorzeichen der Flüsse der beiden vorderen Vektoren in Abb.1!
Für den linken nach oben zeigenden Feldvektor ist der Winkel zwischen \(\vec E\) und \(\vec A\) kleiner als 90°, daher ist der Fluss positiv. Für den nach unten zeigenden Vektor ist der Winkel größer als 90°, daher ist der Fluss negativ.
Verständnisfrage 2: Was fließt beim elektrischen Fluss?
Nichts! Es bewegt sich nichts! Der elektrische Fluss ist eine abstrakte Größe. Weder fliegen Feldvektoren durch die Fläche hindurch noch bewegen sich irgendwelche Ladungen!


Satz von Gauß

Der elektrische Fluss kann für beliebige Flächen berechnet werden. Der Satz von Gauß macht nun eine Aussage für den Spezielfall, dass der elektrische Fluss durch eine geschlossene dreidimensionale Fläche, die ein Volumen im Raum umhüllt, betrachtet wird. Wenn die Fläche A eine solche geschlosse Hüllfläche ohne Löcher ist, dann erfüllt der elektrische Fluss den

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Satz von Gauß für das elektrische Feld: \( \Phi_E=\oint\limits_A \vec{E}(\vec{r}) \cdot d \vec{A} = \dfrac{q_{in}}{\varepsilon_0} \), worin A die Hüllfläche eines Volumens ist, in dem sich die Ladungsmenge qin befindet. (Gl.2)

Er bedeutet: Der Fluss des elektrischen Feldes \(\vec{E}\) durch eine geschlossene Fläche ist gleich der Ladungsmenge \( q_{in} \), die in dem von der Fläche umhüllten Volumen liegt, dividiert durch die Dielektrizitätskonstante (bzw. Permittivität) \( \varepsilon_0 \). Er verknüft die Ladungsmenge im Inneren eines Volumens mit dem elektrischen Fluss durch die Hülle des Volumens. Die Hülle des Volumens, seine Oberfläche, ist eine geschlossene Fläche. Sie hat ein eindeutiges Innen und Außen und enthält kein Loch, das Innen und Außen verbindet. Beispiele sind die Oberfläche einer Kugel oder eines Würfels.

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Verständniserkenntnis
Die im Gaußschen Satz verwendete geschlossene Fläche ist eine rein gedanklich existierende fiktive Fläche, die man Gaußfläche nennt.

Der Gaußsche Satz ermöglicht die Berechnung des elektrischen Feldes genau auf dieser gedachten fiktiven Gaußfläche. Wenn man jedoch die Gaußfläche als Funktion des Ortvektors $\vec r$ so ausdrücken kann, so dass man sie von winzig klein im Zentrum des geladenen Körpers bis zu quasi unendlicher Größe außerhalb des geladenen Körpers variieren kann, dann ermöglicht der Gaußsche Satz die Berechnung von $\vec E(\vec r)$ im gesamten Raum.

Modellvorstellung/Analogien zum Verständnis

Lichtanalogie

Abb.2 Lichtanalogie

Stell Dir eine Lichtquelle vor, die eine bestimmte konstante Lichtleistung PLicht gleichmäßig in alle Richtungen aussendet. Wir symbolisieren die ausgesendete Lichtleistung in Abb.2 durch eine Anzahl von Lichtstrahlen. Nun stecken wir die Lichtquelle gedanklich in eine vollständig transparente Kugel. Durch jedes Stück der Kugeloberfläche wird nun ein bestimmter Anteil des Lichtes treten. Das nennen wir den Lichtfluss durch das Flächenstück. Wenn die Lichtquelle wie in Abb.2 dezentral in der Kugel sitzt, dann ist der lokale Lichtfluss überall auf der Oberfläche unterschiedlich. Je näher die Oberfläche an der Lichtquelle ist, umso größer ist dort der Lichtfluss, umso mehr Lichtstrahlen gehen dort hindurch. Der lokale Lichtfluss an jeder Stelle der Oberfläche wird sich ändern, wenn die Lichtquelle in der Kugel verschoben wird. Er wird sich auch ändern, wenn die Kugel vergrößert und verkleinert wird. Was sich aber nicht ändert, egal was man macht, ist der Lichtfluss durch die gesamte Kugelfläche, d.h. die Anzahl der Lichtstrahlen, die insgesamt durch die gesamte Kugeloberfläche von innen nach außen dringen. Das ist nämlich stets PLicht, also diejenige Anzahl von Lichtstrahlen, die die Lichtquelle aussendet. Anders gesagt: Jeder Lichtstrahl, den die Lichtquelle aussendet, wird aus der Kugeloberfläche austreten. Und das bleibt auch so, wenn aus der Kugel ein Würfel, ein Zylinder oder eine beliebige Form gemacht wird.

Die Analogie ist nun folgende: Die Feldlinien einer elektrischen Ladung benehmen sich wie die Lichtstrahlen der Lichtquelle. Jede Ladung benimmt sich wie eine Lichtquelle, nur dass sie eben Feldlinien statt Lichtstrahlen aussendet. Die Ladungsmenge ist analog zur Stärke der Lichtquelle. Der elektrische Fluss ist analog zum Lichtfluss. Die Kugeloberfläche ist analog zur Gaußfläche.

In dieser Analogie sagt der Satz von Gauß etwas völlig selbstverständliches aus, nämlich: Wenn ich mir um eine Lichtquelle eine Hülle denke, dann ist der Lichtfluss durch die Hülle nur von der Stärke der Lichtquelle abhängig. Es ist genau derjenige, den die Lichtquelle aussendet. Dafür spielt die Form der Hülle keine Rolle. Und wenn keine Lichtquelle/Ladung in der Hülle drin ist, wird keine Lichtleistung/elektrischer Fluss von innen nach außen dringen. Wenn sich eine Lichtquelle/Ladung neben der Hülle befindet, wird jeder Lichtstrahl/jede Feldlinie, die irgendwo eindringt, woanders wieder herausgehen, so dass der Fluss hinein immer gleich dem Fluss hinaus ist. Ein Fluss hinein zählt negativ, ein Fluss heraus zählt positiv. Jeder Lichtstrahl/jede Feldlinie erzeugt deshalb keinen Fluss, wenn sie die Hülle nur durchquert, anstatt in ihr zu enstehen. Ein Fluss existiert nur, wenn eine Lichtquelle/Ladung in der Hülle drin ist.

Spurenanalogie

Ein "Haken" der Lichtanalogie ist der Umstand, dass Lichtquellen immer nur Licht aussenden, jedoch kein Licht "einssaugen" können. Ladungen sind da flexibler, negative Ladungen saugen nämlich Feldlinien ein. Postive Ladungen wirken als Quellen, negative Ladungen als "Staubsauger" für Feldlinien. Stelle Dir eine verschneite Landschaft und ein Waldstück vor. Du sollst bestimmen, ob in dem Waldstück Wölfe sind. Dazu läufst Du einmal um das Waldstück herum und zählst die hinein- und herausführenden Wolfsspuren. Es führen fünf Spuren hinein, jedoch nur zwei heraus, also werden drei Wölfe im Waldstück sein. Natürlich funktioniert das nur, wenn Du wirklich komplett um den Wald herumläufst, damit Dir keine Spur entgeht. Aus dem gleichen Grund muss die Gaußfläche eine vollständig geschlossene Fläche ohne Löcher sein. Herausführende Spuren sind analog zu Feldlinien positiver Ladungen, hineinführende sind analog zu Feldlinien negativer Ladungen, die Differenz der beiden Spurenarten ist analog zum elektrischen Fluss. Die Anzahl der Wölfe ist analog zur eingeschlossenen Ladungsmenge. Der geschlossene Weg ist analog zur Gaußfläche.

Verständnisfrage 3: Auch die Spurenanalogie hat wie die Lichtanalogie einen "Haken"! Wo sitzt er?
In dieser Analogie müssen wir uns auch "negative Wölfe" vorstellen können.


Fazit: Beim elektrischen Feld ist - genau wie beim Licht - der Fluss durch eine beliebige geschlossene Fläche, die ein Volumen umhüllt, ausschließlich durch die resultierende Stärke der Quelle darin gegeben: Es kommt so viel heraus, wie im Volumen erzeugt wird. Kennt man den Fluss, dann kennt man die Stärke der Quelle. Umgekehrt gilt es auch: Kennt man die Stärke der Quelle, dann kennt man auch den Fluss. Das ist die inhaltliche Bedeutung des Gaußschen Satzes.

Anwendung

Wie kann man nun diesen Zusammenhang zur Berechnung elektrischer Felder nutzen? Wir haben schon an den Analogien gesehen, dass sich der elektrische Fluss \(\Phi_E\) durch eine beliebige Gaußfläche sehr einfach bestimmen lässt: Wir müssen nur die Ladungsmenge im Volumen bestimmen. Es bleibt jedoch die Schwierigkeit, dass das elektrische Feld \(\vec E(\vec r)\) im mathematischen Ausdruck des Flusses \(\Phi_E=\oint\limits_A\vec E(\vec r)\cdot d\vec A\) auf den ersten Blick unzugänglich drinsteckt, nämlich im Inneren eines Integrals. Wenn wir es bestimmen wollen, müssen wir es aus dem Intergal herausbekommen und nach \(E(\vec r)\) auflösen können. Das wiederum geht genau dann, wenn es uns gelingt, das Integral in ein einfaches Produkt von Skalaren umzuwandeln. Wir müssen erreichen, dass \( \oint \vec{E}(\vec{r}) \cdot d \vec{A} \)= \(E(r)\cdot A(r)\) gilt. Und das ist einfacher, als man denkt, denn dazu muss man nur die Gaußfläche geschickt wählen, durch die man den Fluss bestimmt.

Der geniale Trick: Richtige Wahl der Gaußflächen

Damit aus dem Skalarprodukt ein Produkt von Skalaren wird, müssen \(\vec E\) und \(\vec A\) parallel sein. Das bedeutet, dass \(\vec E\) senkrecht auf der Fläche stehen muss. Alternativ darf \(\vec E\) auch parallel zur Fläche liegen, denn dann ist das Skalarprodukt null. Daraus schließen wir: Eine geschickt gewählte Gaußfläche hat eine solche Form, dass \(\vec E\) entweder senkrecht auf ihr steht oder parallel zu ihr gerichtet ist. Dann gilt \(\Phi_E=\oint\limits_A\vec E(\vec r)\cdot d\vec A=\oint\limits_A E(\vec r)\cdot d A\).

Damit wir aus diesem Integral das Feld E(\(\vec r\)) herausbekommen, muss es zur Konstante werden, denn Konstanten darf man aus Integralen herausziehen. Dazu muss als erstes \(|\vec r| =r\) zur einem konstanten Abstand r werden, in dem E(\(r\)) bestimmt wird. E(\(r\)) ist immer das Feld direkt auf der Gaußfläche. Der Abstand r wird deshalb zu einem Größenparameter (Radius, Länge, Höhe o.ä.) der Gaußfläche, die wir jetzt als A(r) bezeichnen können. Während der Integration ändert sich die Größe der Gaußfläche natürlich nicht, so dass die Integration über die Gaußfläche keine Integration über r erfordert. Als zweites muss die Gaußfläche eine solche Form haben, dass E(\(r\)) dort, wo der Fluss nicht verschwindet, einen konstanten Betrag hat. Oder anders gesagt: Dort, wo die Feldvektoren senkrecht zur Gaußfläche stehen, müssen sie alle gleich lang sein. Dann wird unser Integral zu \(\Phi_E=\oint\limits_{A(r)} E( r)\cdot d A=E(r) \cdot\oint\limits_{A(r)} d A\). Damit haben wir gewonnen, denn das verbleibende Integral ist einfach der Flächeninhalt der Gaußfläche, und somit ist \(\Phi_E=E(\vec r) \cdot\oint\limits_{A(r)} d A=E( r) \cdot A(r)\).

Folglich erhält der Satz von Gauß die einfache Gestalt \( E(r)\cdot A(r) = \dfrac{q_{in}}{\varepsilon_0} \) und wir können ihn einfach nach \(E(r)\) auflösen und so das elektrische Feld bestimmen:

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Verständniserkenntnis
Bei geschickter Wahl der Gaußfläche ergibt sich ein elektrisches Feld mit Hilfe des Gaußschen Satzes einfach durch \(E(r) =\dfrac{q_{in}}{\varepsilon_0 A(r)}\). Heureka!


Gaußfläche auswählen

Abb.2 Richtige Wahl von Gaußflächen
Abb.3 Die Größe einer Gaußfläche ist variabel!

Wie findet man Gaußflächen, die die genannten Bedingungen erfüllen? Das ist nicht immer möglich, sondern verlangt sehr symmetrische Ladungsverteilungen, wie Kugeln, Kugelschalen, Zylinder, Rohre, Drähte und Platten. Es müssen Ladungsverteilungen sein, denen man die Richtung des elektrischen Feldes aufgrund der Symmetrie unmittelbar ansehen kann. Davon gibt es zwar nicht besonders viele, dafür sind sie aber die wichtigsten! In diesen Fällen ist es jedoch sehr einfach und geht so:

  • Die Gaußfläche muss die gleiche geometrische Form wie die Ladungsverteilung haben. Bei einer geladenen Kugel sind es z. B. Kugeloberflächen, bei einem geladenen Zylinder sind es Zylinderoberflächen, bei einer Platte benötigt sie zwei ebene parallele Flächen parallel zur Platte etc..
  • Die Gaußflächen müssen zentriert zur Ladungsverteilung liegen.
  • Gaußflächen müssen für ein festes r einen endlichen Flächeninhalt haben. Die Größe \(A(r)\) der Gaußfläche ist zwar variabel und eine Funktion des Abstands \(r\). Bei der Kugel (Abb.4) ist nur r erforderlich. Bei anderen Formen muss man Längen oder Breiten mit endlichen Konstanten festlegen, die sich am Ende stets herauskürzen.

Abb.3 zeigt einige Beispiele. Die Länge der zylindrischen Gaußflächen kann man willkürlich festlegen, ebenso die Kantenlängen der Stirnflächen der Gaußfläche der Platte. Solche Festlegungen kürzen sich am Ende stets weg, weil sie sowohl in A(r) als auch in dem Ausdruck für qin auftreten, wie wir gleich sehen werden.

Verständnisfrage 4: Warum ist eine kugelförmige Gaußfläche wie in Abb.3 unten rechts nicht für eine unendlich große Platte geeignet?
Das Feld der Platte muss aus Symmetriegründen überall senkrecht auf der Platte stehen. Deshalb steht es nicht überall senkrecht auf der Kugeloberfläche, sondern nur im Zenit der Kugel. Für alle anderen Punkte steht \(\vec E\) schräg zur Kugeloberfläche.
Verständnisfrage 5: Warum benötigen wir einen skalaren Ausdruck für A(r)?
Weil wir sonst nicht nach E(r) auflösen könnten, denn durch Vektoren darf man nicht teilen!
Verständnisfrage 6: Warum muss die Gaußfläche zentriert zur Ladungsverteilung liegen?
Weil wir andernfalls keinen konstanten, sondern einen veränderlichen Abstand r der Feldorte zum Mittelpunkt der Ladungsverteilung bekämen, wodurch E(r) nicht mehr konstant sein könnte.
Verständnisfrage 7: Warum muss die Gaußfläche immer einen endlichen Flächeninhalt haben?
Weil wir durch den Flächeninhalt teilen. Für einen unendlichen Flächeninhalt wäre das Feld E(r) immer null!


Die Berechnung des Feldes

Mit der Festlegung der Gaußfläche sind wir auf dem Weg zu E(r) einen großes Stück weiter, jedoch ist sie noch nicht erledigt. Im nächsten Schritt muss man eine Fallunterscheidung machen, je, nachdem, wo das Feld berechnet werden soll:

  • Feld innerhalb der Ladungsverteilung,
  • Feld außerhalb der Ladungsverteilung

Innen: Der Wertebereich des Ortsvektors \( \vec{r}\) startet bei \( \vec{r}=0\) und endet, wenn \( \vec{r}\) auf die Oberfläche des geladenen Körpers zeigt. Der jeweilige Wert von \( |\vec{r}|\) legt die Größe der zugehörigen Gaußfläche \(A(r)\) fest, die stets vollständig innerhalb des geladenen Körpers liegt (Grenzfall Körperoberfläche). Wenn der Körper homogen geladen ist, dann ist die Gaußfläche vollständig mit Ladungen gefüllt. Für das Innenfeld nimmt die eingeschlossene Ladung und damit der Fluss mit wachsendem r zu, weil das von der Gaußfläche \(A(r)\) umschlossene Volumen mit wachsendem r ebenfalls wächst und immer mehr Ladungen einschließt. Wenn der Fluss schneller wächst als die Gaußfläche, muss \(E(r)\) zunehmen.

Außen: Der Wertebereich des Ortsvektors \(\vec{r}\) startet, wenn \( \vec{r}\) auf die Oberfläche des geladenen Körpers zeigt, und endet bei $\vec r =\infty$. Die Gaußfläche liegt vollständig außerhalb des geladenen Körpers (Grenzfall Körperoberfläche). Für das Außenfeld bleibt die eingeschlossene Ladung und damit der Fluss unabhängig von r konstant, weil die Gaußfläche bereits für das kleinste r sämtliche Ladungen einschließt. Mit wachsendem r ändert sich die eingeschlossene Ladung nicht mehr. Wenn \(A(r)\) wächst, muss \(E(r)\) abnehmen.

Unmittelbar auf der Körperoberfläche ergeben beide Fälle den gleichen Wert. Falls nicht, hat man sich verrechnet.

Wenn man sich für einen Fall entschieden hat, verbleiben die folgenden Schritte

a) Größe der wirksamen Gaußfläche A(r) für den betrachteten Fall angeben
b) Die in die Gaußfläche eingeschlosse Ladung qin angeben
c) E(r) aus A(r) und qin berechnen

Die wirksame Gaußfläche bezeichnet den Anteil der Gaußfläche, durch den der Fluss nicht null ist. Wir schauen uns das jetzt an zwei Beispielen an!

Abb.B1 Gaußfläche liegt innerhalb der Kugel
Beispiel 1: Elektrisches Feld einer homogen geladene Kugel

Wir betrachten eine Kugel mit dem Radius R und der homogener Ladungsdichte \(\rho_0\), ihre Gesamtladung ist somit \(Q = \rho_0 \frac {4}{3} \pi R^3\). Wir berechnen das Feld innerhalb und außerhalb der Kugel.
1. Wahl der Gaußfläche

Das elektrische Feld muss aus symmetriegründen immer radial gerichtet sein. Die Gaußfläche muss deshalb eine Kugeloberfläche mit dem Radius r zentriert zur Kugel sein.

2. Fallunterscheidung:
Feld innerhalb der Kugel: Die Länge des Ortsvektors \( \vec{r}\) startet bei null und endet beim Radius R der Kugel.

a) Größe der wirksamen Gaußfläche A für den betrachteten Fall angeben
Die gesamte Gaußfläche ist wirksam. Ihr Flächeninhalt ist \(A(r)={4}\pi r^2\).
b) Die in die Gaußfläche eingeschlosse Ladung qin angeben
Das von \(A(r)\) umschlossene Volumen ist \(V(r) = \frac {4}{3} \pi r^3\). Darin befindet sich die Ladungsmenge \(q_{in} =\rho_0 V= \rho_0 \frac {4}{3} \pi r^3\).
c) E(r) aus A(r) und qin berechnen
Der Satz von Gauß ergibt \(\Phi_E=E(r)\cdot \underbrace{4\pi r^2}_{A(r)}=\underbrace{\rho_0 \frac {4}{3} \pi r^3}_{q_{in}}\cdot\dfrac{1}{\epsilon_0}\) und das nach E(r) aufgelöst ergibt \(E(r)=\dfrac{{\rho_0 \frac {4}{3} \pi r^3}}{{4\pi r^2}\epsilon_0}=\dfrac{\rho_0}{3\epsilon_0}r\).

Abb.B2 Gaußfläche liegt ausserhalb der Kugel
Feld außerhalb der Kugel: Die Länge des Ortsvektors \( \vec{r}\) startet bei R und endet bei \(r\to\infty\)l.
a) Größe der wirksamen Gaußfläche A für den betrachteten Fall angeben
Die gesamte Gaußfläche ist wirksam. Ihr Flächeninhalt ist \(A(r)={4}\pi r^2\).
b) Die in die Gaußfläche eingeschlosse Ladung qin angeben
Das von \(A(r)\) umschlossene Volumen ist \(V(r) = \frac {4}{3} \pi r^3\). Darin befindet sich für alle r die konstante Ladungsmenge \(q_{in} =Q\), d.h. die Gesamtladung der Kugel.
c) E(r) aus A(r) und qin berechnen
Der Satz von Gauß ergibt \(\Phi_E=E(r)\cdot \underbrace{4\pi r^2}_{A(r)}=\underbrace{Q}_{q_{in}}\cdot\dfrac{1}{\epsilon_0}\) und das nach E(r) aufgelöst ergibt \(E(r)=\dfrac{Q}{4\pi\epsilon_0 r^2}\).

Probe: Beide Ergebnisse müssen auf der Oberfläche der Kugel den gleichen Wert ergeben, denn diese bildet den Übergang zwischen Innen- und Außenfeld.

An der Oberfläche ist für beide Felder r = R. Für das Innenfeld ergibt sich \( E(r) = \frac {\rho_0}{3 \varepsilon_0} R\). Für das Außenfeld ergibt sich mit \(Q = \rho_0 \frac {4}{3} \pi R^3\) der Ausdruck \(E(r)=\dfrac{\rho_0 \frac {4}{3} \pi R^3}{4\pi\epsilon_0 R^2}=\frac {\rho_0}{3 \varepsilon_0} R\). Die Felder stimmen überein.


Analyse des Ergebnisses

Für das Innenfeld nimmt die eingeschlossene Ladung und damit der Fluss zu, wenn die Gaußfläche wächst, weil sie beim Wachsen immer mehr Ladungen einschließt. Doch die Fläche wächst nur mit r2, während die eingeschlossene Ladung mit r3 zunimmt. Deshalb muss das Feld mit r zunehmen. Für das Außenfeld bleibt die eingeschlossene Ladung Ladung und damit der Fluss konstant, wenn die Gaußfläche wächst, weil sie stets die ganze Kugel einschließt. Wenn die Fläche mit r2 wächst, während die eingeschlossene Ladung konstant bleibt, muss das Feld mit r2 abnehmen. Das Außenfeld einer Kugel ist das gleiche wie das einer Punktladung.

Ein häufiger und typischer Rechenfehler, der bei der Anwendung des Satzes von Gauß durch Studierende gemacht wird, ist folgender: Es wird nicht zwischen r als Größe der Gaußfläche und R als Radius des Körpers unterschieden. Wenn man nicht sorgfältig zwischen diesen beiden Größen unterscheidet, bekommt man natürlich falsche Felder heraus. Der Radius R eines Körpers kommt beim inneren Feld in der Rechnung nicht vor. Für das äußere Feld muss dagegen die eingeschlossene Ladung qin über den Radius R des Körpers bestimmt werden. Wenn man dabei qin statt dessen mit r berechnet, tut man fälschlicherweise so, als sei die gesamte Gaußfläche mit Ladung gefüllt. Ein weiteres Beispiel zum Satz von Gauß, nämlich die berechnung des Feldes einer Platte, ist im Artikel Berechnung elektrischer Felder gezeigt.

Verständnisfrage 8: Warum ist es zur Anwendung des Gaußschen Satzes zur Bestimmung des Feldes einer Punktladung ungünstig, eine würfelförmige Gaußfläche zu wählen?
Weil die Feldvektoren auf der Würfelfläche nicht überall senkrecht stehen und unterschiedliche Längen haben. Dann müsste man das Flußintegral explizit lösen.
Verständnisfrage 9: Was für eine Gaußfläche muss man wählen, um das elektrische Feld im Hohlraum einer geladenen Hohlkugel zu bestimmen?
Eine Kugeloberfläche, die zentriert innerhalb des Hohlraums liegt.
Verständnisfrage 10: Ist der Gaußsche Satz einfach anwendbar, wenn man das elektrische Feld einer geladenen Halbkugel bestimmen möchte?
Nein, die Symmetrie des Körpers ist nicht groß genug. Man die kann die Richtung des elektrischen Feldes nicht überall bestimmen.


Vertiefung: Differentielle Form

Der Satz von Gauß lässt sich auch in differentieller Form schreiben:

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Satz von Gauß differentiell: \(\text{div } \vec E=\frac{\rho}{\varepsilon_0}\) (Gl.3)

Dann besagt er: Elektrische Felder sind Quellenfelder und die Quellen elektrischer Felder sind Ladungen. Die Umwandlung der integralen in die differentielle Schreibweise geschieht mit dem mathematischen Gaußschen Integralsatz, der nicht mit dem physikalischen Satz von Gauß verwechselt werden sollte. Wenden wir den mathematischen Gaußschen Integralsatz auf den Satz von Gauß nach Gl.2 an, ergibt das

\(\Phi_E=\oint\limits_{\partial V} \vec E\cdot d\vec A=\int\limits_V \text{div } \vec E\ dV=\frac{q}{\varepsilon_0}\) (Gl.H1)

Die Ladung q im Volumen V kann mit der Raumladungsdichte ρ als

\(q=\int\limits_V \rho\ dV\) (Gl.H2)

ausgedrückt werden. Damit ergibt sich

\(\frac{q}{\varepsilon_0}=\int\limits_V \frac{\rho}{\varepsilon_0} dV=\int\limits_V \text{div } \vec E\ dV\) (Gl.H3)

Ein Vergleich der Integranden liefert Gl.3.