Molekülschwingungen
Inhaltsverzeichnis
Schwingungstypen
Jedes Molekül kann irgendwie schwingen. Dabei bewegen sich die Kerne gegeneinander. Die Anzahl möglicher Schwingungsbewegungen hängt von der Anzahl der Kerne ab. Ein zweiatomiges Molekül hat nur eine Schwingungsmöglichkeit. Bei drei Atomen gibt es schon drei Möglichkeiten. Im allgemeinen hat eine Molekül mit N Atomen 3N-6 verschiedene Schwingungsmöglichkeiten. Das läßt sich durch einfaches Abzählen der Bewegungsfreiheitsgrade verstehen: N Atome haben 3N Translationsfreiheitsgrade (nach x,y,z). Davon gehen drei für die Translation des Moleküls selbst und drei für die Rotation verloren. Der Rest bleibt für Schwingungen übrig. Die möglichen Schwingungsbewegungen eines Moleküls nennt man seine Normalschwingungen.
Schwingungen und Strahlung
Elektromagnetische Wellen werden in erster Linie durch schwingende elektrische Dipole erzeugt. Folglich kann eine Schwingung nur dann Strahlung (d.h. elektromagnetische Wellen) erzeugen, wenn mit ihr in irgendeiner Form ein schwingendes elektrisches Dipolmoment verbunden ist. Und andersherum kann die Schwingung auch nur dann durch Strahlung beeinflusst werden, wenn sich durch die Schwingungsbewegung das elektrische Dipolmoment periodisch ändert.
Die Energien, die mit Schwingungen verbunden sind, entsprechen Strahlung im infraroten Spektralbereich (IR). Wenn durch eine Schwingung ein schwingendes Dipolmoment entsteht, kann sie Infrarotstrahlung erzeugen. Mann nennt sie dann IR-aktiv. Alle gezeigten Schwingungen des H2O sind IR-aktiv. Das liegt daran, dass H2O von sich aus bereits ein Dipolmoment besitzt und jede Änderung der Geometrie dieses Dipolmoment verändert.
Das muss aber nicht generell so sein. Wenn ein Molekül von sich aus kein Dipolmoment besitzt, wie z. B. CO2, dann führen nicht alle Schwingungen zwingend auch zu einem schwingenden Dipolmoment. Als Beispiel sind die Schwingungen des CO2 in einer Animation rechts gezeigt. Bei der symmetrischen Streckschwingung (oben) bleibt das Dipolmoment stets null. Diese Schwingung kann keine Strahlung erzeugen und nicht durch Strahlung beeinflusst werden. Sie ist nicht IR-aktiv. Die beiden anderen Schwingungen erzeugen ein oszillierendes Dipolmoment: Bei der asymmetrischen Streckschwiingung (mitte) ist es entlang der Molekülachse orientiert. Daher ist die erzeugte Strahlung auch parallel zur Molekülachse polarisiert. Bei der Biegeschwingung (unten) ist das Dipolmoment senkrecht zur langen Achse orientiert. Folglich ist die erzeugte Strahlung auch so polarisiert.
Im infraroten Schwingungsspektrum eines Moleküls treten nur Spektrallinien auf, die zu IR-aktiven Schwingungen gehören.
Quantenmechanische Berechnung
Die Grundlage der elementaren quantenmechanischen Behandlung von Molekülschwingungen ist die Born-Oppenheimer-Näherung. Sie ermöglicht es, die Bewegung der Atomkerne zu berechnen. Die Elektronenhülle, also die Verteilung der Elektronen auf die elektronischen Molekülorbitale, fungiert dabei als Erzeuger der potenziellen Energie. Das bedeutet, die Elektronenhülle erzeugt das Potenzial V(r), in dem die Kernbewegungen stattfinden. Es wird als bekannt vorausgesetzt und ist nicht Gegenstand der folgenden Berechnung. Im folgenden beschränken wir uns auf zweiatomige Moleküle, wodurch als einzige Koordinate der Kernabstand x auftritt. Aus V(r) wird V(x) und wir können alles eindimensional behandeln.
Die Schrödinger-Gleichung einer Schwingung
Sind zwei Atome weit von einander entfernt, üben sie keine Kräfte aufeinander aus. Kommen sie sich dagegen sehr nahe, dann durchdringen sich die Elektronenhüllen und die Kraft wird zunehmend abstoßend. Weil die Kraft die Änderung der potenziellen Energie darstellt, bedeutet das eine konstante potenzielle Energie für sehr große Abstände und eine stark ansteigende potenzielle Energie für sehr kleine Abstände. Bei Molekülen liegt dazwischen ein Minimum, das den Gleichgewichtsabstand der Atome markiert. Existiert kein Minimum, dann binden sich die Atome auch nicht zu einem Molekül.
Um die Schrödinger-Gleichung aufzustellen, benötigen wir die Operatoren der kinetischen und der potenzielle Energie der Kerne im gegebenen Potenzial V(x). Der Operator der kinetischen Energie ist wie gewohnt $\hat T=-\frac{\hbar ^2}{2\mu}\frac{\partial ^2}{\partial x^2}$, worin μ nun aber die reduzierte Masse der Kerne ist.
Näherung als harmonischer Oszillator
In erster Näherung verläuft das elektronische Potenzial im Bereich um die Gleichgewichtslage parabelförmig. Damit lässt sich die potenzielle Energie klassisch durch $E_{pot}= \frac 1 2 D x^2$ ausdrücken. Die Federkonstante D kann mit $\omega= \sqrt{\frac D m}$ durch mω2 ersetzt werden. Damit lautet der Operator der potenziellen Energie entsprechend der Ersetzungsregel $\hat V= \frac 1 2 m\omega^2 x^2$. Damit ergibt sich für den eindimensionalen harmonischen Oszillator die Schrödinger-Gleichung: $$\left(-\frac{\hbar ^2}{2m}\frac{\partial ^2}{\partial x^2}+\frac 12 m \omega^2 x^2\right)\psi(x)=E_n\psi(x)$$ Das Potenzial beschränkt die Kerne beidseitig (nach ±x), so dass die beidseitigen Randbedingungen wie beim unendlich tiefen Potenzialtopf mögliche Wellenfunktionen und Energien auf ganz bestimmte Werte eingrenzen.
Die Lösung dieser Schrödinger-Gleichung liefert diese Wellenfunktionen und die zugehörigen Energien. Die detaillierte Beschreibung der Rechnung findet man z. B. in [1]. Man beachte jedoch, dass diese Wellenfunktionen die Orte und Energien der Kerne beschreiben und nicht - wie beim Wasserstoff-Atom - der Elektronen!
Wellenfunktionen und Energien
Für die normierten Wellenfunktionen ergibt sich
$$\psi_n(x)=\left(\frac{m\omega}{\pi\hbar}\right)^{\frac 14} \frac{1}{\sqrt{2^n n!}}H_n\left(\sqrt{\frac{m\omega}{\hbar}}x\right) e^{-\frac 12 \frac{m\omega}{\hbar}x^2}$$ Darin sind die Hn(x) die Hermite-Polynome. Die ersten lauten $$\begin{align} H_0(x)&=1\\ H_1(x)&=2x\\ H_2(x)&=(2x)^2-2\\ H_3(x)&=(2x)^3-6\cdot (2x)\\ H_4(x)&=(2x)^4-12\cdot (2x)^2+12 \end{align}$$ Für die Energien ergibt sich $E_n=\hbar \omega(n + \frac 12)$ mit $n \in \mathbb{N}_0$. Die Animation rechts zeigt die Energien und die zugehörigen Wellenfunktionen. Selbst für n = 0 verbleibt eine Nullpunktsenergie. Der Abstand zwischen benachbarten Energiezuständen ist stets gleich $\Delta E=\hbar \omega$: Die Energien liegen äquidistant! Mit zunehmendem n steigt die Amplitude der Schwingung an, denn die Orte maximaler Aufenthalswahrscheinlichkeit rutschen immer weiter auseinander. |
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Realistischeres Potenzial
Für höhere Schwingungszusände weicht der Verlauf der Potenzials von der Parabel ab. Das Potenzial wird zunehmend breiter. Das bedeutet, die Energien senken sich im Vergleich zum harmonischen Oszillator ab und die Energiezustände rutschen näher zusammen. Um dies zu berücksichtigen verwendet man statt des Parabelpotenzials des harmonischen Oszillators ein Lennard-Jones-Potenzial oder ein Morse-Potenzial.
Schwingungsspektren
Harmonischer Oszillator
Das Spektrum einer harmonischen Schwingung besteht nur aus einer einzelnen Linien. Das liegt daran, dass für die möglichen Übergänge zwischen zwei Energiezuständen die Auswahlregel Δn = ±1 gilt. Übergänge können also nur zwischen benachbarten Energiezuständen stattfinden. Und weil der Abstand zum oberen oder unterem Nachbarniveau für alle Energien gleich ist, haben alle erlaubten Übergänge die gleiche Energie und ergeben gemeinsam nur eine einzige Spektrallinie.
Auswahlregel
Die Auswahlregel Δn = ±1 lässt sich genau wie beim Zeeman-Effekt durch die Symmetrie verstehen. Auch die Wellenfunktionen des harmonischen Oszillators haben eine definierte Parität π = (-1)n. Deswegen ist das das Integral des Übergangsdipolmomentes gerade und verschwindet nicht, wenn ein Übergang zwischen Wellenfunktionen mit unterschiedlicher Parität stattfindet. Das erfordert Δn = ±1.[2]
Anharmonischer Oszillator
Die potenzielle Energie realer Moleküle weicht von der idealen Parabelform ab. Dadurch rutschen die Energien für hochangeregte Schwingungszustände zunehmend zusammen, weil das Potenzial immer breiter wird. Übergänge zwischen hochangeregten Schwingungszuständen haben daher eine kleinere Energie als ℏω und erzeugen im Spektrum Linien bei kleineren Energien. Gleichzeitig wird die Auswahlregel für Δn aufgeweicht und es sind auch Übergänge mit Δn = ±1, ±2, ±3 ... möglich. Letzteres entspricht einer Anregung von Oberschwingungen mit Vielfachen von ω. Sie erzeugen zusätzliche Linien im Spektrum, die bei höheren Energien liegen. Mit Hilfe dieser zusätzlichen Linien kann man die genaue Form des Potenzials bestimmen.