Kräfte
Inhaltsverzeichnis
Begriff der Kraft
Im Alltag kennen wir Kraft als Eigenschaft von Körpern: Wir sind kräftig oder kraftlos, ein Auto hat einen kräftigen Motor, wir können kräftige Haare haben oder unser Hund zieht kräftig an der Leine. Was meint man mit "kräftig"? Die herkömmliche Bedeutung ist, dass ein Körper eine starke Kraft ausüben kann. Dahinter steckt die Vorstellung, dass eine Kraft von einem Körper erzeugt wird. Diese Vorstellung ist richtig. Auch in der Physik sieht man es so: Jede Kraft hat eine Ursache, einen Erzeuger, einen Körper oder ein Objekt, das die Kraft erzeugt. Kräfte entstehen nicht aus dem "Nichts".
Aus dem Alltag erfahren wir aber auch, dass sich nur Dinge bewegen, die in irgendeiner Form einen Antrieb haben, der dann die Antriebskraft und die Bewegung bewirkt. Beim Auto ist es der Motor, beim Fahrrad sind wir der Motor, in unseren Beinen sind die Muskeln der "Motor". Die herkömmliche Vorstellung ist, dass sich Objekte aufgrund eines inneren Antriebs, eines darin enthaltenen Motors, einer im Inneren erzeugten Antriebskraft bewegen. Die herkömmliche Vorstellung ist, dass Kräfte Bewegung erzeugen und es ohne Kräfte auch keine Bewegung gibt. Nehmen wir an, diese Vorstellung sei richtig: Wo sitzt dann der Motor eines Apfels, der vom Baum fällt oder eines Luftballons, der aufsteigt, oder des Mondes, der um die Erde kreist? Offensichtlich haben solche Objekte keinen Motor, wie erzeugen sie dann ihre innere Antriebskraft? Nehmen wir versuchsweise an, sie haben überhaupt keine innere Antriebskraft und brauchen auch keine! Wieso kommen sie dann vorwärts? Und wenn diese Objekte keine brauchen, wieso dann aber ein Auto oder unserer Fahrrad?
Bringen wir den Widerspruch auf den Punkt: Wieso können sich Dinge sowohl mit als auch ohne Motor bewegen? Und was haben Kräfte mit Bewegung zu tun? Schauen wir uns an, was die Physik dazu sagt. Die physikalische Sichtweise löst diesen (scheinbaren!) Widerspruch nämlich höchst genial auf. Und der geniale Löser dieses Rätsels war Sir Isaac Newton. Er fand heraus: Körper setzen sich nicht durch eigene, sondern ausschließlich durch fremde Kräfte in Bewegung. Und es gibt Bewegungen, die überhaupt keine Kraft benötigen. Und Kräfte treten immer nur in Paaren auf, niemals allein. Das wollen wir jetzt verstehen.
Was ist eine Kraft, was macht sie?
Zuerst müssen wir verstehen, was eine Kraft überhaupt tut. Dazu betrachten wir das Beispiel in Abb.1. Dort zieht Leo an Ben und setzt ihn in Bewegung. Leo übt dazu eine Zugkraft auf Ben aus. Wenn man sagt, ein Körper übe auf einen zweiten Körper eine Kraft $\vec F$ aus, dann ist das nur eine abstrakte Umschreibung dafür, dass er ihm Impuls $\vec p=m\vec v$ gibt. Kraft $\vec F$ und der abgegebene Impuls $\vec p$ zeigen in die gleiche Richtung. Der Impuls ist die physikalische Größe, durch die sich Bewegung "mengenmäßig", d.h. als viel oder wenig beschreiben lässt. Wenn ein Körper schneller wird, erhält er mehr Impuls, und wenn er langsamer wird, wird sein Impuls weniger. Solange wir an der Masse eines Körpers nichts ändern, müssen wir ihm also Impuls geben oder wegnehmen, um seine Geschwindigkeit zu ändern. Und das können nur Kräfte.
Die physikalische Bedeutung der Kraft ist "Impulsweitergabe" oder "Impulsübertrag", genau das steckt in ihrer Definition:
Definition der Kraft: $\vec F =\dfrac{\text d\vec p}{\text d t}$ (Lies: Kraft ist Impulsänderung pro Zeit) | (Gl.1) |
Diese Definition der Kraft ist übrigens die Aussage des zweiten Newton'schen Axioms. Die Gleichung enthält eine Ableitung. Die muss uns nicht erschrecken oder verwirren. Solange die Masse eines Körpers sich nicht ändert, dürfen wir den Ausdruck $\frac{\text d\vec p}{\text d t}$ einfach durch $m\vec a$ ersetzen. Darin ist $\vec a$ die Beschleunigung. In der Schreibweise $\vec F = m \vec a$ wird das Wesen einer Kraft weniger gut deutlich, deswegen bleiben wir momentan bei der Schreibweise mit dem Impuls. Bei dieser Gleichung ist es wichtig zu wissen, dass die Kraft $\vec F$ immer von einem anderen Körper erzeugt wird, als der, dessen Impulsänderung (oder Beschleunigung) sie bewirkt. Denn diese Gleichung beschreibt ja eine Übertragung. In Abb.1 verursacht der stärkere Leo eine Kraft auf Ben. Das $\vec F$ in der Gleichung gehört deshalb zu Leo. Durch diese Kraft setzt er Ben in Bewegung, er gibt ihm Impuls. Das $\frac{\text d\vec p}{\text d t}$ gehört deshalb zu Ben.
Bezeichnung von Kräften
Um Newtons Ideen zu verstehen, ist es nützlich, dass wir für jede Kraft genau notieren, wer sie verursacht und wer ihren Impuls empfängt, d.h. wer Impulsspender und wer Impulsempfänger ist. Der Impulsspender ist der Erzeuger bzw. Verursacher der Kraft. Wir verwenden im PhysKi dafür folgende Notation, wenn wir eine Kraft angeben:
Bezeichnung von Kräften: $\vec F_{ {\bf A}rt}^{ {\bf E}\text{mpfänger,}{\bf V}\text{erursacher} }$ | (Gl.2) |
Das kann man sich einfach mit dem Kürzel "EVA" merken. Mit diesen Bezeichnungen kann man die Wirkung einer Kraft besser verdeutlichen:
Wirkung einer Kraft: $\vec F_{ {\bf A}rt}^{ {\bf E}\text{mpfänger,}{\bf V}\text{erursacher} }=\frac{\text d\vec p_{Empfänger} }{\text d t}$ | (Gl.3) |
Hinter der Gleichung steckt also ein "Ursache → Wirkung"-Zusammenhang. In Abb.1 ist die Kraft, die Leo auf Ben erzeugt, die Ursache dafür, dass Ben sich bewegt. Die Bewegung von Ben ist die Wirkung der Kraft.
Die Bezeichnung $\vec F_{g}^{\text{Ball,Erde} }$ steht für die Kraft, die ein Ball empfängt und die die Erde verursacht. Die Art der Kraft ist die Gewichtskraft, d.h. die Gravitationskraft der Erde an ihrer Oberfläche. Die Kraft ändert den Impuls des Balls. Deshalb lautet die Gleichung für die Bewegung des Balls: $\vec F_{g}^{\text{Ball,Erde} }=\frac{\text d\vec p_{Ball} }{\text d t}$. Sie erklärt, warum ein Ball immer schneller wird, wenn er frei zu Boden fällt: Durch die Gewichtskraft, die die Erde auf ihn ausübt, wird ihm ständig neuer Impuls zugeführt, bis er den Boden erreicht.
Wie Du mir, so ich Dir: Kräftepaare
Warum treten Kräfte nur paarweise auf und nie allein? Und wieso können wir trotzdem so tun, als ob nur Leo eine Kraft auf Ben ausübt? Wo ist die zweite Kraft des Paares? Die Paare entstehen, weil in der Newtonschen Mechanik alle Kräfte als Ausdruck einer gegenseitigen Wechselwirkung zwischen zwei Körpern angesehen werden. Eine Wechselwirkung ist ein Paar aus gegenseitigen Aktionen zweier Akteure.
So wie es keinen Handel ohne Käufer und Verkäufer gibt, so wie es keine Weitergabe ohne Geber und Nehmer gibt, so gibt es auch keine Kräfte ohne zwei "Handelsspartner" und "Ware". Es gehören immer zwei dazu! Die „Ware“ ist der Impuls $\vec p$, das wissen wir schon. Nehmen wir an, die zwei "Handelspartner“ seien ein Finger und eine Taste (so etwas gab es vor der Zeit der Touchscreens z.B. auf einer Computertastatur). Wenn man sagt, der Finger übt auf die Taste eine Kraft aus, dann ist das nur eine Umschreibung dafür, dass er ihr Impuls gibt.
Jedes der Beispiele besteht aus zwei gegensätzlichen Rollen und Aktionen:
- Der Verkäufer verkauft und der Käufer kauft.
- Der Geber gibt und der Nehmer nimmt.
Sie funktionieren nur dann, wenn beide Partner vorhanden sind und ihre Rolle erfüllen:
- Man kann sich selbst nichts verkaufen, man kann von sich selbst nichts kaufen und man kann nichts verkaufen, wenn der andere es nicht kauft.
- Man kann sich selbst nichts geben oder wegnehmen und man kann nichts abgeben, wenn der andere es nicht nimmt.
Genauso ist es bei der Kraft:
- Ein Finger kann sich selbst nicht drücken oder von sich selbst gedrückt werden und er kann die Taste nicht drücken, wenn sie sich nicht drücken lässt.
Beide Rollen unterscheiden sich darin, wer der jeweils Agierende von beiden ist. Die Aktion des Agierenden verändert das Eigentum des anderen. Nehmen wir an, Geld wechsele bei den Aktionen seinen Besitzer.
- Der Verkäufer verringert das Geld des Käufers. Der Käufer vermehrt das Geld des Verkäufers.
- Der Geber vermehrt das Geld des Nehmers. Der Nehmer verringert das Geld des Gebers.
Übertragen wir das auf unsere Kraft:
- Der Finger vermehrt den Impuls der Taste. Die Taste verringert den Impuls des Fingers.
Gehen wir zurück zum Anfang: Dort haben wir gesehen, dass der erste Ausdruck beschreibt, dass der Finger als Agierender auf die Taste als Empänger eine Kraft ausübt. Er drückt von oben nach unten gegen die Taste. Im zweiten Ausdruck ist die Taste aktiv gegenüber dem Finger. Konsequent übersetzt, muss der zweite Ausdruck nun bedeuten, dass die Taste auf den Finger ebenfalls eine Kraft ausübt. Diese Kraft unterscheidet sich von der ersten dadurch, dass sie wegnimmt statt hinzufügt. Wegnehmen statt Hinzuzufügen bewirkt eine Umkehrung des Vorzeichens der Kraft. Die Taste bewirkt somit eine Kraft auf den Finger, und zwar von unten nach oben.
In allen Fällen gibt es eine klare Transportrichtung: Der Gewinn des einen ist der Verlust des anderen. Gewinn und Verlust sind untrennbar miteinander verknüpft. Sie beinhalten dieselbe Ware zwangsläufig in der gleichen Menge, denn die Ware gibt es nur einmal. In beiden Aktionen ist sie dieselbe, nur mit unterschiedlichem Vorzeichen: Verlust = −Gewinn.
- Wenn der Käufer dem Verkäufer 1 € in die Hand drückt, ist der Gewinn des Verkäufers +1 € und der Verlust des Käufers −1 €, bei beiden ist es derselbe Euro.
- Wenn der Geber dem Nehmer 1 € in die Hand drückt, ist der Gewinn des Nehmers +1 € und der Verlust des Gebers −1 €, bei beiden ist es derselbe Euro.
Übertragen wir das wieder auf unsere Kraft:
- Wenn der Finger der Taste 1 Impulseinheit aufdrückt, ist der Gewinn der Taste +1 Impulseinheit und der Verlust des Fingers −1 Impulseinheit, bei beiden ist es dieselbe Impulseinheit.
Newtons Genialität bestand darin, zu erkennen, dass Kräfte auch nur ein gegenseitiges Geben und Nehmen sind. Er erkannte:
Verständniserkenntnis
Kräfte treten grundsätzlich immer paarweise auf. Es wirken immer zwei Kräfte zwischen zwei Körpern, nämlich eine Kraft auf je einen der Körper, die jeweils vom anderen Körper erzeugt wird. Die beiden Kräfte dieses Kräftepaares haben den gleichen Betrag, vertauschte Richtungen und vertauschte "Verursacher" und "Empfänger"-Rollen.
Diesen Umstand bezeichnet man mit der Abkürzung "Actio=Reactio" und ist die Aussage des dritten Newtonschen Axioms. Die eine Kraft ist der "Geber" und die andere der "Nehmer". Weil beide Kräfte den selben "Handel" beschreiben, nur jeweils in der Rolle des anderen Akteurs, müssen sie von gleicher Art und Stärke sein. Ein solches Paar kann nur aus zwei Zugkräften, zwei Druckkräften, zwei Gewichtskräften, zwei Normalkräften etc. bestehen. Eine Mischung verschiedener Kraftarten ist nicht möglich. Auch Ben und Leo sind Handelspartner: Wenn Leo an Ben zieht, zieht Ben unweigerlich mit genau der gleichen Kraft in die andere Richtung an Leo. Denn Ben nimmt Leo genau den Impuls weg, der ihm von Leo gegeben wird. Selbst dann, wenn Ben das Seil nur festhält und gar nicht aktiv zieht. Beide ziehen sich gegenseitig mit gleicher Stärke an. Das ist in Abb.2 dargestellt. Im Abschnitt "Ohne Fleiss kein Preis" wird erklärt, warum sich Leo nicht bewegt, obwohl Ben ihm Impuls wegnimmt.
Tatsächlich wirkt niemals eine Kraft zwischen zwei Körpern!
Soweit klar? Dann müssen wir noch beantworten, warum Bens Bewegung nur durch eine der beiden Kräfte bewirkt wird. Nämlich nur durch die, die Leo erzeugt.
Das A und O: Äußere Kräfte
Um zu verstehen, dass die Bewegung eines Körpers nur durch die Kraft beeinflusst wird, die sein "Handelspartner" auf ihn ausübt, betrachten wir den Wettkampf "Tauziehen" zwischen Leo und Ben genauer. Wenn zwei Personen aneinander ziehen, wie beim Tauziehen, gehen wir ganz selbstverständlich davon aus, dass der Stärkere gewinnen wird, d. h. derjenige, der die größere Kraft erzeugen kann. Wir nehmen an, der stärkere Leo gewinnt tatsächlich, wie in Ab.3 gezeigt. Damit Leo gewinnt, muss sich Ben auf ihn zu bewegen. Warum bewegt sich Ben auf Leo zu? Sicher nicht aus eigener Kraft, aufgrund seines eigenen "inneren Motors", denn dieser setzt alles daran, sich gerade nicht auf Leo zuzubewegen. Bens Anteil ist angedeutet durch den Pfeil mit der Bezeichnung "Bens Widerstand". Folglich kann es nur so sein, dass sich Ben bewegt, weil Leo dafür sorgt. Wir wissen schon, dass Leo eine Kraft erzeugt, die auf Ben wirkt und dessen Bewegung verursacht. Es ist die Zugkraft durch das Seil. Leo ist der Verursacher, das Seil der Weiterleiter und Ben der Empfänger dieser Zugkraft. Sie ist in Abb.3 mit $\vec F_{Zug}^{\text{Ben,Leo}}$ bezeichnet. Leo ist hierbei der "Täter" (ohne Mordgedanken) und Ben sein "Opfer".
Wir können bis hierher schon einmal festhalten, dass sich Körper ganz offensichtlich zumindest auch durch fremde Kräfte bewegen. Newton geht aber noch weiter und lüftet mit folgender Erkenntnis das ganze Geheimnis der Mechanik:
Verständniserkenntnis
Geheimnis der Mechanik: Die Bewegung eines jeden Körpers kann nur durch Kräfte beeinflusst werden, die von anderen Körpern verursacht werden und von dort aus auf ihn einwirken. Solche Kräfte nennt man äußere Kräfte.
So einfach soll das sein? Können wir das glauben? Wieso bewegt sich dann das Auto? Ist es nicht seine eigener "Verursacher" durch den Motor? Und von wem könnte es denn Impuls empfangen? Wer ist sein "Handelspartner"? Oder betrachten wir Bens "Muskelmotor", der seine "innere Kraft" erzeugt! Kann es wirklich sein, dass diese mit seiner Bewegung nichts zu tun hat? Ist es nicht vielmehr so, dass sie bestimmt, wieviel Widerstand Ben der Zugkraft entgegensetzen kann? Eben nicht!
Es ist tatsächlich so einfach, wie als Geheimnis der Mechanik behauptet. Überzeugen wir uns, indem wir noch Bens eigene Kräfte betrachten, sprich, was sich hinter dem Pfeil mit der Bezeichnung "Bens Widerstand" verbirgt. Deshalb fragen wir: Was tut Ben?
Zum einen zieht Ben eventuell am Seil, um Leo in Bewegung zu setzen. Er zieht sicher nicht, um sich selbst in Bewegung zu setzen, denn durch den Zug kann er sich ja nur auf Leo zubewegen. Außerdem haben wir schon gelernt, dass beide sowieso mit gleicher Kraft aneinander ziehen. Mit seinem "Widerstand" kann die Zugkraft also nichts zu tun haben. Deshalb dürfen wir diese Kraft und ihre Betrachtung kurz aufschieben. Wir behandeln sie am Ende dieses Abschnitts. Momentan interessiert uns mehr, wie sich Ben mit "eigener Kraft" gegen den Sieg von Leo wehrt.
Was tut er also noch? Er stemmt sich gegen den Boden, so gut er kann. Er lehnt sich zurück und steht nur noch auf den Fersen! Er setzt seine Gewichtskraft so gut wie möglich ein, um eine möglichst große Reibungskraft zu erzeugen. Diese Reibungskraft ist es, die Bens Widerstand gegen die Bewegung erzeugt, nicht seine Muskelkraft oder die Zugkraft. Aber wer ist hierbei "Verursacher" und wer ist "Empfänger"?
Diese Frage ist entscheidend und Newton sagt: Ben erzeugt als "Verursacher" eine Reibungskraft auf den Boden als "Empfänger". Doch weil Kräfte nur paarweise und gegenseitig auftreten können, erzeugt auch der Boden als "Verursacher" die gleich große entgegengesetzt gerichtete Reibungskraft auf Ben als "Empfänger". Ein Paradebeispiel für ein Kräftepaar nach "Wie Du mir, so ich Dir". Um zu entscheiden, welche der beiden Kräfte dieses Kräftepaares Bens Widerstand erzeugt, müssen wir nur die Richtung der beiden Kräfte betrachten: Wenn Ben auf Sand stünde, schöbe er den Sand vor sich her. Ben verursacht daher eine nach vorn gerichtete Reibungskraft auf den Boden. Die Kraft, die seinen Widerstand bewirkt, muss aber nach hinten gerichtet sein. Es muss deshalb die Kraft sein, die der Boden verursacht, und die Ben empfängt, denn diese ist von Leo weg nach hinten gerichtet. Wir halten fest: Auch hinter dem Pfeil mit der Bezeichnung "Bens Widerstand" verbirgt sich tasächlich eine äußere fremde Kraft, nämlich die Reibungskraft, die der Boden auf Ben ausübt. Ben kann die Stärke dieser Kraft zwar vergrößern, indem er sich stärker gegen den Boden stemmt. Umso stärker wird nämlich im Gegenzug die Reibungskraft des Bodens. Dennoch wird sie aber vom Boden erzeugt und nicht von Ben. Diese Unterscheidung ist wichtig und das Ergebnis allgemeingültig:
Immer, wenn ein Körper scheinbar durch eine selbst erzeugte innere Kraft seine Bewegung beeinflusst, werden wir bei einer genauen Betrachtung der Kräfte und ihrer Richtungen feststellen, dass die Beeinflussung tatsächlich stets aufgrund der zweiten äußeren Kraft des Kräftepaares und nie durch die selbst erzeugte innere Kraft erfolgt! Diese generelle Erkenntnis hat Newton gehabt. Sie verbirgt sich in seinem zweiten Newton'schen Axiom. Wir haben sie als "Geheimnis der Mechanik" formuliert!
Ohne Fleiss keine Preis: Das Tauziehen
Jetzt haben wir genug über Kräfte erfahren, um das Tauziehen vollständig verstehen zu können. Wir stellen zuerst alle wesentlichen Kräfte zusammen: Ben ist der Empfänger von zwei widerstreitenden Kräften, nämlich der Zugkraft von Leo und der Reibungskraft vom Boden, die in entgegengesetzte Richtungen an ihm zerren (Abb.4), Auch an Leo wird gezogen, und zwar von Ben. Die beiden Zugkräfte sind ein Kräftepaar und deswegen vom gleichen Betrag. Außererdem wirkt auch auf Leo eine Reibungskraft vom Boden. Wenn zwei unterschiedliche Kräfte auf einen Körper wirken, dann addieren sie sich, wenn sie in die gleiche Richtung zeigen. Kräfte sind Vektoren, sie addieren sich vektoriell. Wenn sie in entgegengesetzte Richtungen zeigen, bleibt nur ihre Differenz über. Wenn sie dabei auch noch den gleichen Betrag haben, heben sie sich vollständig auf. Denn dann überträgt die eine Kraft genau den Impuls, den die andere Kraft zeitgleich wegnimmt. Das nennt man ein Kräftegleichgewicht.
Verständniserkenntnis
Beachte, dass ein Kräftepaar nach "Wie Du mir, so ich Dir" niemals ein Kräftegleichgewicht erzeugen kann, denn diese beiden Kräfte wirken immer auf zwei unterschiedliche Körper!
Wer gewinnt?
Wenn Leo gewinnt, dann nicht, weil er stärker ist! Tatsächlich gewinnt der, auf den der Boden die größere Reibungskraft erzeugt! Letzlich also der mit der größeren Masse und/oder den besseren Schuhen. Die Muskelkraft ist nicht ausschlaggebend. Man sieht das sofort ein, wenn man sich vorstellt, dass man Leo auf ein Rollbrett stellt. Egal, wie stark Leo auch sein mag: Weil der Boden keine Reibungskraft mehr auf ihn ausüben kann, muss er verlieren. Ben könnte ihn sogar nur mit dem kleinen Finger ziehen (Abb.5).
Warum zieht man am Seil?
Apropo, die Zugkraft! Hat sie überhaupt keinen Einfluss auf den Sieg? Wozu wird dann überhaupt am Seil gezogen? Eine spannende Frage, weil ja die Zugkraft auf beide Kampfhähne völlig gleich ist! Egal, wer wie stark zieht!
Sie müssen aber ziehen, um überhaupt eine Haftreibungskraft zu erzeugen. Eine Haftreibungskraft hat nämlich die seltsame Eigenschaft, nur dann auch da zu sein, wenn sie gebraucht wird, und ihre Stärke den Anforderungen anzupassen.
Derjenige, hier sei es Leo, der mehr Masse oder die besseren Schuhe hat, kann mehr Haftreibungskraft vom Boden erzeugen. Wenn beide anfangen zu ziehen, wächst die Haftreibungskraft auf beide im selben Maß wie die Zugkraft an. Anfangs sind bei beiden Zugkraft und Haftreibungskraft im Gleichgewicht und gleich stark. Deswegen bewegt sich keiner von beiden. Eine Haftreibungskraft hat allerdings eine Höchstgrenze und kann nicht beliebig stark mitwachsen. Ben verliert, weil bei ihm diese Höchstgrenze kleiner ist als bei Leo. Sobald die Zugkraft Bens Höchstgrenze übersteigt, beginnt er auf Leo zuzurutschen. In diesem Moment verschwindet die Haftreibungskraft und statt dessen wirkt nur noch die viel kleinere Gleitreibungskraft. Nun ist es ein leichtes für Leo, Ben zu sich zu ziehen. Auf ihn selbst wirkt die ganze Zeit ein Kräftegleichgewicht. Deswegen bewegt er selbst sich nicht.
Von nichts kommt nichts: Bewegung ohne Kräfte
Was macht ein Körper, auf den keine Kraft, also "nichts" wirkt? Nichts! Aber was ist "nichts"? Ein Körper, der nur so rumliegt, wird weiter so rumliegen. Das glaubt jeder, ohne Frage. Dann steht "kommt nichts" für "rumliegen" oder -wissenschaftlicher ausgedrückt- für "ruhend". Aber ist das alles?
Wie sieht es aus mit einem Körper, der sich bewegt? Kann er sich überhaupt bewegen, ohne daß eine Kraft auf ihn wirkt? Natürlich kann er das! Er muss das können, denn wenn er sich bewegt, hat er ja irgendwann einmal Impuls bekommen. Und dieser ist ziemlich anhänglich und lässt sich nicht ohne weiteres wieder los werden. Nehmen wir einen Fußball mit der Masse m, dem ich einen Tritt gebe, so daß er schräg nach oben fliegt. In dem Moment, indem ich ihn trete, oder präziser, solange mein Fuß ihn berührt, übt mein Fuß eine Kraft auf den Fußball aus und gibt ihm dadurch den Impuls $\vec p = m \vec v$. Wenn er meinen Fuß verlässt, hat er diesen Impuls. Nach dem Tritt bewegt er sich mit der Geschwindigkeit $\vec v$ schräg nach oben. Und nun?
Die Erfahrung zeigt, dass der Fussball, egal wie stark ich ihn getreten habe, irgendwann wieder zu Boden fallen wird und zur Ruhe kommt. Das bedeutet, die Bewegung des Fußballs ändert sich, nachdem ich ihn getreten habe. Das bedeutet physikalische betrachtet, der Impuls des Fussballs ändert sich, nachdem ich ihn getreten habe. Der Impuls kann sich aber ausschließlich dadurch ändern, dass Kräfte auf den Fußball wirken. Es müssen daher Kräfte auf den Fußball wirken. Hier sind es die Gewichtskraft und die Luftwiderstandskraft. Die Gewichtskraft zeigt immer nach unten und lenkt den Ball wieder Richtung Erde. Die Luftwiderstandskraft wirkt immer entgegen $\vec v$ und kann den Ball nur bremsen. "Von nichts" können wir in diesem Fall eher nicht sprechen.
Keine dieser Kräfte kann den Ball vorwärts bewegen! Dennoch bewegt er sich. Wieso?
Was wäre, wenn es diese beiden Kräfte nicht gäbe? Was kommt dann "von nichts"? Ohne Gewichtskraft würde der Ball nicht umgelenkt und in Abschussrichtung geradeaus gen Himmel verschwinden. Ohne Luftwiderstandskraft würde der Ball dabei sogar noch nicht einmal langsamer, denn nichts bremst ihn mehr. Tatsächlich würde der Ball mit dem Impuls, den ich ihm beim Abschuss verpasst habe, bis in alle Ewigkeit weiterfliegen, könnte irgendwann das Zentrum der Milchstraße passieren, wenn er nicht vorher mit einem Planeten kollidiert. Für diesen Weiterflug ist überhaupt keine Kraft erforderlich, denn der Weiterflug erfordert keine Impulszufuhr und "verbraucht" nichts, weder Impuls noch Energie. Ganz im Gegenteil: Um seinen Impuls (seine "Bewegungsmenge") zu ändern, müsste der Fußball ihn irgendwo loswerden können. Das kann er aber nur durch Kräfte. Ohne Kräfte ist der Ball dazu verdammt, zu behalten, was ich ihm durch den Tritt verpasst habe. Hier bedeutet "kommt nichts", daß der Impuls und damit seine Geschwindigkeit an dem Ball klebt wie eine Klette, solange ihn nicht eine Kraft davon befreit.
Was unterscheidet jetzt so einen "kraftlosen Nichts-ändert-sich-Weiterflug" von einer durch Kräfte beeinflussten Bewegung? Der Unterschied ist ganz einfach festzumachen: Eine "kraftlose" Bewegung geht nur mit konstantem Tempo auf gerader Bahn. Denn dabei ändert der Impuls weder Betrag noch Richtung. Beides muss gleichzeitig erfüllt sein. Sobald sich die Richtung und/oder das Tenmpo verändern, muss eine Kraft wirken. Das war der letzte Geniestreich von Newton, den wir kennenlernen. Für ihn war es das ersten Axiom, das Trägheitsgesetz. Dahinter verbirgt sich die kräftefreie Bewegung:
Verständniserkenntnis
Eine Bewegung mit konstantem Tempo auf gerader Bahn erfordert keine Kraft. Im Gegenteil: Sie ist sogar nur dann überhaupt möglich, wenn keine Kraft auf den Körper wirkt!
Diese besondere Form der Bewegung "mit konstantem Tempo auf gerader Bahn" hat in der Physik einen eigenen Namen: es ist eine gleichförmige Bewegung. Wir können zusammenfassen: "Von nichts kommt nichts" bedeutet: Wenn keine Kraft auf einen Körper wirkt (von nichts), kann der Körper seinen Impuls nicht ändern (kommt nichts) und seine Bewegung ist gleichförmig. Der Impuls kann null sein, dann ruht der Körper.
Merke:
- "Alles bleibt beim alten, wenn keine Kräfte walten."
- "Hüte dich, Impuls zu kriegen, dann musst Du ewig weiterfliegen"!
Widersprüche aufgelöst: Antworten
Gehen wir zurück zu den Ausgangsfragen:
Wieso fährt ein Auto?
Nach dem gleichen Prinzip, weil ein Verursacher auf das Auto als Empfänger eine Kraft ausübt. Wie beim Tauziehenist der Verursacher der Boden: Er übt über die Reifen eine Reibungskraft auf das Auto aus. Diese Reibungskraft wird erzeugt, weil der Motor die Räder antreibt und zum Drehen bringt. Dadurch üben die Reifen eine nach hinten gerichtete Kraft auf den Boden aus, der seinerseits eine nach vorn gerichtete Kraft auf die Reifen ausübt. Dadurch wird das Auto beschleunigt. Aber das reine Drehen der Räder treibt das Auto nicht an. Das sieht man sofort ein, wenn man sich das Auto auf einer Eis- oder Sandfläche vorstellt. Darauf drehen die Räder nämlich durch und das Auto kommt nicht vorwärts, egal, wie stark der Motor ist.
Wieso fällt ein Apfel?
Nach dem gleichen Prinzip, weil ein weil ein Verursacher auf den Apfel als Empfänger eine Kraft ausübt. In diesem Fall ist der Verursacher unser Planet, die Erde. Ihre Masse bewirkt eine anziehende Gravitationskraft auf den Apfel. Wenn sich die Empfänger der Kraft auf der Erdoberfläche befinden, nennen wir diese Gravitationskraft "Gewichtskraft". Auch der Apfel übt als Verursacher eine Kraft auf die Erde als Empfänger eine Kraft aus. Jede Kraft tritt ja paarweise auf. Weil die Massen jedoch sehr ungerecht verteilt sind, ist die Bewegungsänderung der Erde nicht wahrnehmbar.
Was treibt den Mond an?
Nichts! Es gibt zwar einen Verursacher, der auf den Mond als Empfänger eine Kraft ausübt. In diesem Fall ist der Verursacher wieder unser Planet, die Erde. Ihre Masse bewirkt eine anziehende Gravitationskraft auf den Mond. Diese Kraft kann aber nichts weiter tun, als die Bahn des Mondes zur Kreisbahn zu krümmen, wodurch er uns nicht ausbüchst. Der Mond bewegt sich ohne Antrieb auf seiner Kreisbahn allein aufgrund des Trägheitsgesetzes, weil diese Kraft den Betrag des Impulses nicht ändern kann.
Warum steigt ein Luftballon auf?
Nach dem gleichen Prinzip, weil ein Verursacher auf den Ballon als Empfänger eine Kraft ausübt. In diesem Fall ist der Verursacher unsere Atmosphäre, die Luft. Der Luftdruck nimmt mit zunehmender Höhe ab. Durch diesen Druckunterschied entsteht eine nach oben gerichtete Auftriebskraft, die die Luft auf den Ballon ausübt. Im Gegenzug übt der Ballon eine nach unten gerichtete Kraft auf die Luft aus.
Fazit
Alles bisher gesagte gilt für jede Kraft. Gewöhnlich werden sie als Newtonsche Axiome bezeichnet. Alle diese Grundlagen über Kräfte können wir täglich im Alltag erleben. Man muss nur bewusst darauf achten!
Verschaffe Dir außerdem einen Überblick über die verschiedenen Arten physikalischer Kräfte. Einige davon werden uns häufig begegenen.