Elektromagnetische Wellen
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Physikalischer Kontext
Elektromagnetische Wellen (kurz EM-Wellen) sind heutzutage die Basis unserer Kommunikation, sei es als Mobilfunk oder als Internetverbindung über Glasfaserkabel. Elektromagnetische Wellen breiten sich sowohl im Vakuum als auch in Medien aus. Sie entstehen immer dann, wenn eine elektrische Ladung beschleunigt wird, und breiten sich mit Lichtgeschwindigkeit aus. Die Amplitude der abgestrahlten Welle ist dabei maximal senkrecht zur Beschleunigungsrichtung und verschwindet in Richtung der Beschleunigung. Ihr E-Vektor und ihr B-Vektor steht senkrecht zur Ausbreitungsrichtung und E- und B-Vektor stehen senkrecht aufeinander. Elektromagnetische Wellen überdecken einen riesigen Wellenlängen- bzw. Frequenzbereich. Von der Radiowelle über Licht bis hin zur γ-Strahlung: all das sind elektromagnetische Wellen.
Das elektromagnetische Spektrum

Das Spektrum elektromagnetischer Wellen (EM-Spektrum, Abb.1) erstreckt sich kontinuierlich von \(λ\) = 0 bis \(λ\) = ∞. Es kann grundsätzlich alle Wellenlängen geben, bezüglich \(\lambda\) existiert keine Quantelung wie z.B. bei der Elementarladung.
Der Bereich des Lichts (VIS von visible), also der Strahlung, die wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können, ist ein winziger Ausschnitt aus dem Bereich des EM-Spektrums mit Wellenlängen zwischen 400 nm-800 nm. Diese Strahlung wird durch die äußeren Bereiche der Hülle von Atomen und Molekülen erzeugt.
Auf der langwelligen Seite des Lichts liegt die infrarote Strahlung (IR). Davor liegen die Mikrowellen (Microwaves) und die Radiowellen: Ultrakurzwellen (UKW), Kurzwelle (KW), Mittelwellen(MW), Langwellen (LW).
Auf der kurzwelligen Seite des Lichts schließt sich die ultraviolette Strahlung (UV) an. Ihr folgt die Röntgenstrahlung (X-ray) und schließlich die γ-Strahlung (Gamma-Strahlung, Gamma rays). Die Grenze zwischen beiden ist fließend. Als γ-Strahlung bezeichnet man meist nur die Strahlung, die von Atomkernen oder bei Elementarteilchenprozessen emittiert wird, und als Röntgenstrahlung jede andere kurzwellige Strahlung, z.B. auch Synchrotronstrahlung oder die Strahlung aus dem inneren Bereich der Elektronenhülle von Atomen und.
Die Reihenfolge mit abnehmender Wellenlänge ist Radiowellen → Mikrowellen → IR → VIS → UV → X-rays → Gamma rays.
Je größer ein Objekt ist, umso langwelliger ist in der Regel die Strahlung, die es erzeugt:
- Elementarteilchen, Kerne → Gammastrahlung
- Innere Elektronenhülle (Atome und Moleküle), Teilchen in Beschleunigern → Röntgenstrahlung
- Äußere Elektronenhülle (Atome und Moleküle) → Licht
- Moleküle (Schwingungen, Rotation) → Infrarot, Mikrowellen
- Antennen → Radiowellen
Modellvorstellung
Eigenschaften
Die Modellvorstellung einer elektromagnetischen Welle ist in Abb.2 am Beispiel einer ebenen Welle gezeigt. Der Wellenvektor \(\vec k\) zeigt in die Ausbreitungsrichtung.
- Elektromagnetische Wellen stellen wir uns als harmonische Transversalwellen elektrischer (\(\vec E\)) und magnetischer Felder (\(\vec B\)) vor.
- Sie benötigen kein Medium, um sich auszubreiten.
- Sie breiten sich im Vakuum mit der Vakuumlichtgeschwindigkeit c = 2,9979 × 108 m/s aus.
- Der elektrische Feldvektor \(\vec E\) und der magnetische Feldvektor \(\vec B\) schwingen in Phase und sinusförmig.
- Der elektrische Feldvektor \(\vec E\) und der magnetische Feldvektor \(\vec B\) stehen senkrecht aufeinander und auf der Ausbreitungsrichtung \(\vec k\).
- Der elektrische Feldvektor \(\vec E\), der magnetische Feldvektor \(\vec B\) und die Ausbreitungsrichtung \(\vec k\) bilden in der Reihenfolge \(\vec E\), \(\vec B\), \(\vec k\) ein Rechtssystem.
Abb.3 zeigt die Wellen in Bewegung: oben als linear polarisierte Welle, unten als zirkular polarisierte Welle. Im letzten Fall ist nur $\vec E$ aus Gründen der Übersichtlichkeit dargestellt. Eine Welle ist nichts Lokales ist, was bei solchen Darstellungen oft untergeht: Die Wellenfronten, also die Flächen gleicher Phase, d. h. gleicher Auslenkung der Welle, sind ausgedehnte Objekte, die sich mit Lichtgeschwindigkeit c durch den Raum schieben. Für eine ebene Welle sind diese Flächen Ebenen. Für Kugelwellen wären es Kugeloberflächen, an die sich die Vektoren tangential anschmiegen. Beim Hertzschen Dipol ist es nichts von beidem, er strahlt ja in alle Richtungen unterschiedlich ab. In großer Entfernung von einem Sender sind ebene Wellen häufig eine gute Näherung.
Mathematische Darstellung
Die mathematische Darstellung hängt davon ab, wohin die Welle läuft, wie sie polarisiert ist, und ob sie eine ebene Welle oder eine Kugelwelle ist. Das elektrische Feld einer ebenen elektromagnetische harmonische Welle mit der Amplitude E0, die in x-Richtung läuft und in y-Richtung linear polarisiert ist, kann z.B. folgendermaßen dargestellt werden: $\vec E(x,t)=E_0 \cos({kx-\omega t})\hat y$. Im komplexer Schreibweise, die viel bequemer ist, lautet sie $\vec E(x,t)=E_0 e^{i(kx-\omega t)}\hat y$. Hier ist dann nur der Realteil von Bedeutung. Würde die Welle in y-Richtung laufen und in x-Richtung polarisiert sein, müsste man im Argument der Funktion x durch y ersetzen, und den Einheitsvektor $\hat y$ durch den Einheitsvektor $\hat x$ austauschen.
Das elektrische Feld einer ebenen elektromagnetische harmonische Welle mit der Amplitude E0, die in x-Richtung läuft und zirkular polarisiert ist, kann z.B. reell folgendermaßen dargestellt werden: $\vec E(x,t)=E_0 \cos({kx-\omega t})\hat y+E_0 \sin({kx-\omega t})\hat z)$ und in komplexer Schreibweise durch $\vec E(x,t)=E_0 e^{i(kx-\omega t)}\hat y+E_0 e^{i(kx-\omega t\pm\frac{\pi}{2})}\hat z$. Das Vorzeichen vor der Phasenverschiebung bestimmt, ob die Welle links oder rechtsdrehend ist.
Bei einer Kugelwelle ist ihre Laufrichtung nicht auf eine Raumrichtung beschränkt, sondern sie kann in eine beliebige Richtung $\vec r$ laufen. Außerdem nimmt die Amplitude mit 1/r ab. Hier bieten sich Kugelkoordinaten statt kartesischer Koordinaten an. Mathematisch können wir sie damit z.B. so formulieren: $\vec E(x,t)=\frac {E_0(\theta,\varphi)}{r} \cos({\vec k\cdot\vec r-\omega t})\hat e_{\theta}+\frac {E_0(\theta,\varphi)}{r} \cos({\vec k\cdot\vec r-\omega t})\hat e_{\varphi}$ bzw. in komplexer Schreibweise als $\vec E(\vec r,t)=\frac {E_0(\theta,\varphi)}{r} e^{i(\vec k\cdot\vec r-\omega t)}\hat e_{\theta}+\frac {E_0(\theta,\varphi)}{r} e^{i(\vec k\cdot\vec r-\omega t)}\hat e_{\varphi}$, wobei $\hat e_{\theta}$ und $\hat e_{\varphi}$ die Einheitsvektoren in Kugelkoordinaten sind, die senkrecht zu $\hat e_r$ stehen. Die Art und Richtung der Polarisation wird durch $E_0(\theta,\varphi)$ bestimmt.
In unserer Modellvorstellung zur Entstehung von elektromagnetischen Wellen durch Atome und Moleküle wird die Strahlung durch ozillierende elektrische Dipole (Hertzsche Dipole) erzeugt. Ein einzelner Hertzscher Dipol sendet weder ebene Wellen noch Kugelwellen aus, sondern hat eine besondere Abstrahlcharakteristik (Dipolstrahlung). Ebene Wellen sind eine gute Näherung in großer Entfernung von so einem Hertzschen Dipol. Kugelwellen sind dagegen ein sehr gutes Modell für die Abstrahlung vieler in statistisch verteilte Richtungen schwingende Dipole.
Der Zusammenhang zwischen \(\vec E\) und \(\vec B\)
Elektromagnetischen Wellen bestehen aus elektrischen und magnetischen Felder, dennoch wird oft nur das elektrische Feld betrachtet. Das hat zwei Gründe:
- Erstens ist für die meisten wichtigen Wechselwirkungen einer EM-Welle mit Materie (wie z. B. Brechung, Emission, Absorption) nur die Coulomb-Kraft durch das E-Feld verantwortlich, daher wählt man \(\vec E\) statt \(\vec B\). Nur selten sind magnetische Dipole und magnetische Dipolstrahlung relevant. Ein Beispiel dafür ist die Elektronenspinresonanz.
- Zweitens: Wenn man \(\vec E\) kennt, dann kennt man auch \(\vec B\), denn beide Felder hängen sowohl im Betrag als auch in der Richtung als auch in der Phase fest zusammen:
- Betrag:\(B=\frac Ec\)
- Richtung:\(\vec E \perp \vec B\),
- Phase: \(\vec E\) und \(\vec B\) sind in Phase.
Wie versteht man diesen Zusammenhang, diese feste Kopplung von \(\vec E\) und \(\vec B\)? Natürlich ist er in den Maxwell-Gleichungen enthalten, die ja die Kopplung zwischen \(\vec E\) und \(\vec B\) beschreiben. Um die Kopplung quantitativ zu finden, kann man zum Beispiel eine Maxwellgleichung, die die Kopplung zwischen $\vec E$ und $\vec B$ beinhaltet, auf eine gegebene E-Welle anwenden und so die zugehörige B-Welle bestimmen.
Da man jede Welle als Superposition von ebenen Wellen auffassen kann, schränken wir uns damit nicht in der Allgemeingültigkeit ein. Wir nehmen als Basis das Induktionsgesetz in differentieller Form $\text{rot}\vec E=-\frac{\partial \vec B}{\partial t}$ und betrachten eine ebene \(\vec E\)-Welle $\vec E(x,t)=\left(\begin{matrix}0\\0\\E_z(x,t)\end{matrix}\right)=\left(\begin{matrix}0\\0\\E_0e^{i(kx-\omega t)}\end{matrix}\right)$, die in \(x\)-Richtung läuft und deren \(\vec E\)-Vektor nur eine \(z\)-Komponente hat. Der Wellenvektor \(\vec k\) zeigt dann in die \(x\)-Richtung und hat den Betrag $k=\frac{2\pi }{\lambda }=\frac{\omega}{c}$, er lautet also $\vec k=\left(\begin{matrix}k\\0\\0\end{matrix}\right)=\left(\begin{matrix}2\pi /\lambda\\0\\0\end{matrix}\right)$.
Aus den Richtungen von \(\vec k\) und \(\vec E\) ergibt sich, dass \(\vec B\) in die negative y-Richtung zeigen sollte. Wenden wir nun das Induktionsgesetz auf \(\vec E\) an und bilden dazu zuerst die Rotation $\text{rot}\vec E=\nabla \times \vec E=\left(\begin{matrix}\frac{\partial E_z}{\partial y}-\frac{\partial E_y}{\partial z}\\\frac{\partial E_x}{\partial z}-\frac{\partial E_z}{\partial x}\\\frac{\partial E_y}{\partial x}-\frac{\partial E_x}{\partial y}\end{matrix}\right)=\left(\begin{matrix}0\\-ikE_z\\0\end{matrix}\right)=-\frac{\partial \vec B}{\partial t}$, weil alle Ableitungen bis auf $\frac{\partial E_z}{\partial x}=ikE_z$ verschwinden. Somit ist $ikE_z=\frac{\partial B_y}{\partial t}$.
Die Integration über die Zeit \(t\) liefert \(B_y\): $\partial B_y=ikE_z\partial t\ \Rightarrow \ B_y=ikE_0\int e^{i(kx-\omega t)}dt=ikE_0\frac{(-1)}{i\omega }e^{i(kx-\omega t)}=-\frac k{\omega }E_z$.
$\dot{\vec B}$ und damit auch \(\vec B\) hat wie erwartet nur eine y-Komponte, die negativ ist, wenn \(E_z\) positiv ist. Für die Beträge von \(E\) und \(B\) bekommt man, weil $k=\frac{\omega } c$ ist, wie behauptet $B=\frac E c$.
Die Richtung von \(\vec B\) kann man sich aber auch direkt, ohne Rechnung überlegen: Eine beschleunigte Ladung entspricht einem Strom \(I\). Die elektrischen Feldvektoren sind parallel zur Stromrichtung. Ein Strom bewirkt ein Magnetfeld. Die Magnetfeldlinien sind konzentrische Kreise um den Strom. Daher stehen die Magnetfeldvektoren senkrecht zur Stromrichtung und somit auch senkrecht auf \(\vec E\).
Am schwierigsten ist die Argumentation der Phasenverschiebung. Betrachtet und berechnet man den Hertzschen Dipol im Detail, so sieht man, dass bei sehr kurzen Abständen (kürzer als eine Wellenlänge, sogenanntes Nahfeld) \(\vec E\) und \(\vec B\) nicht in Phase, sondern um π/2 phasenverschoben sind. Das ergibt sich auch, wenn man z. B. einen elektrischen Schwingkreis berachtet. Durch die etwas unterschiedlichen Abstandsabhängigkeiten beider Wellenamplituden ändert sich das aber binnen einer Wellenlänge. Genauer: \(\vec E\) und \(\vec B\) enthalten einen phasengleichen Anteil, der mit 1/r abfällt und phasenverschobene Anteile höherer Potenzen von 1/r. Letztere überwiegen für sehr kleine Abstände, fallen aber sehr schnell auf vernachlässigbare Amplituden ab. Außerhalb des Nahfeldes, im sogenannten Fernfeld sind \(\vec E\)und \(\vec B\) deshalb in Phase und bleiben das auch. Sehr schöne Animationen dazu findet man unter dem Link: mikomma.de → hertz.html.
Polarisation
Da elektromagnetische Wellen transversal sind, sind sie polarisierbar. Die Art und Richtung der Polarisation wird über den elektrischen Feldvektor \(\vec E\) festgelegt. Dazu stellt man sich vor, dass eine elektromagnetische Welle aus vielen einzelnen Teilwellen zusammengesetzt ist.
- Wenn \(\vec E\) für alle Teilwellen in statistisch verteilten Ebenen schwingt, ist die Welle unpolarisiert.
- Wenn \(\vec E\) für alle Teilwellen in der gleichen festen Ebene schwingt, ist die Welle linear polarisiert (Abb.3, oben).
- Wenn \(\vec E\) für alle Teilwellen mit konstanter Länge um die Ausbreitungsrichtung rotiert, ist die Welle zirkular polarisiert. Zirkular polarisierte Wellen entstehen, wenn zwei senkrecht zueinander linear polarisierte Teilwellen gleicher Wellenlänge mit einem Gangunterschied von \(\lambda/4\) zu einer Welle addiert werden (Abb.3 unten und Artikel Wellen, Abb.8)
- Wenn \(\vec E\) für alle Teilwellen mit veränderlicherer Länge um die Ausbreitungsrichtung rotiert, ist die Welle elliptisch polarisiert.
Reale Wellen beinhalten beliebige Mischformen der Polarisation.
Sehr schöne Animationen zu polariserten Wellen sind bei szialab.org von András Szilágyi unter Grundlagen: Elektromagnetische Wellen und Polarisationstypen zu finden.
Entstehung elektromagnetischer Wellen
Modellvorstellung

Unsere Modellvorstellung zur Erzeugung von elektromagnetischen Wellen zeigt Abb. 3. Man kann sich den Mechanismus anschaulich so vorstellen, als seien die Feldlinien an den Ladungen real und an diese gebunden, wie das Band der Turnerin in Abb.3 an ihren Stab (Tatsächlich sind Feldlinien natürlich nicht real und lediglich eine Darstellungshilfe für Felder!). Wenn die Turnerin ihren Stab beschleunigt, überträgt sich die Bewegung des Stabes sofort auf das Band. Wird die Ladung beschleunigt, überträgt sie analog ihre Bewegung auf die Feldlinien (genauer: auf das Feld im Raum, aber Feldlinien sind anschaulicher). Beachten Sie: In beiden Fällen entsteht keine Welle, wenn nur eine gleichförmige Bewegung erfolgt, also sich die Geschwindigkeit v nicht ändert! Auch bei der Turnerin würde das Band (ohne Luftreibung) nur herunterhängen und sich insgesamt mit v bewegen. Die Welle entsteht nur bei Beschleunigung, also einer v-Änderung! Das schauen wir uns jetzt noch etwas genauer an und machen dazu ein paar Gedankenexperimente. Wir betrachten zuerst nur das elektrische Feld und noch keine harmonischen Wellen, sondern beginnen mit einem sehr kurzen Puls. Lax gesagt, mit einem „elektromagnetischem Knall“, der aber ebenso eine elektromagnetische Welle ist wie der Knall einer Peitsche eine Schallwelle ist.
Gedankenexperiment
Wir starten mit einer im Punkt A ruhenden Punktladung (Abb.4), deren hübsches radiales Feld sich wie Sonnenstrahlen in alle Richtungen erstreckt. Wir sitzen als ruhender Beobachter irgendwo im Ruhesystem von Punkt A und bleiben dort auch die ganze Zeit sitzen. Nun wird die Punktladung ruckartig entlang x von A nach B bewegt, d.h. stark beschleunigt und sofort wieder gebremst. Bei B hat die Ladung ein entlang x verschobenes Feldlinienbild im Vergleich zur Position A (Abb. 4). Die Position der Feldlinien sagt uns eigentlich, wo die Ladung ist, nämlich dort, wo die radialen Feldlinien zusammenlaufen. Bewegt sich jedoch eine Ladung ruckartig von A nach B, so kann sich von A aus die Information, dass die Ladung nicht mehr am Punkt A ist, nur mit Lichtgeschwindigkeit c ausbreiten. Jetzt müssen wir unterscheiden, was die Feldlinien uns sagen: Außerhalb eines Kreises mit dem Radius R = ct herrscht noch das Feld der Ladung am Punkt A. Innerhalb des Kreises schon das versetzte Feld der Ladung am Punkt B. Wenn wir außerhalb des Kreises sitzen, haben wir also noch keine Ahnung, dass sich die Ladung bewegt hat. Die Feldlinien sagen uns, wo die Ladung ursprünglich war. Aber die Information rast in Form versetzter Feldlinien mit Lichtgeschwindigkeit auf uns zu. Wenn wir innerhalb des Kreises sitzen, sind wir bereits auf dem neuesten Stand. Vorausgesetzt, wir sitzen nicht dummerweise auf der x-Achse. Denn die Feldlinien, die parallel zur Beschleunigung, also zu x verlaufen, unterscheiden sich für beide Positionen überhaupt nicht, wir würden die Bewegung nicht sehen. Die Feldlinien, die senkrecht zur Beschleunigungsrichtung x verlaufen werden dagegen am stärksten versetzt. Am deutlichsten sehen wir die Bewegung also von der Seite, ein cleverer Beobachter sitzt dort.
Wir sind clever und sitzen irgendwo senkrecht zur Beschleunigung außerhalb des Kreises. Was sehen wir genau, wenn die Information, also der Kreisrand, uns erreicht? Direkt auf dem mit c wachsendem Kreisrand müssen beide Feldlinienbilder irgendwie ineinander übergehen (Abb. 5). Durch die Verbindung jeweils gleicher Feldlinien miteinander entstehen hier scharfe „Knicke“ in den Feldlinien. Diese „Knicke“ sind umso ausgeprägter, je schneller und weiter die Ladung verschoben wurde, je stärker sie also beschleunigt wurde. Ein Feldvektor schmiegt sich immer tangential an eine Feldlinie. Im Bereich der Knicke verlaufen die Feldlinien etwa parallel zum Kreisrand. Also schmiegt sich auch der E-Vektor an den Kreisrand. Ein Stück Kreisrand steht natürlich senkrecht auf dem Radius, also auf der Ausbreitungsrichtung der Welle. Also steht hier auch der E-Vektor senkrecht auf der Ausbreitungsrichtung. Wir sehen also, wenn der Kreisrand uns erreicht, kurzzeitig einen querstehenden statt einen radialen E-Vektor. Das ist unser „elektromagnetischer Knall“, also der E-Vektor der EM-Welle, die in diesem Fall nur ein kurzer Puls ist.
Harmonische elektromagnetische Wellen
Was uns jetzt noch fehlt, ist die Entstehung harmonischer elektromagnetischer Wellen. Es sollte nun klar sein, wie diese entstehen können: Anstatt unsere Ladung einmalig ruckartig zu bewegen, lassen wir sie periodisch harmonisch hin und her schwingen. Das erzeugt dann auch harmoische Wellen auf den Feldlinien. Doch Vorsicht! Die Wellen, die auf den Feldlinien laufen, sind nicht die abgestrahlten elektromagnetischen Wellen! Der Zusammenhang ist etwas komplzierter und in Abb.6 gezeigt: Die Feldvektoren $\vec E$ des elektrischen Feldes liegen ja stets tangential an den Feldlinien. Und nur die transversalen Komponenten von $\vec E$, die als $\vec E_{\perp}$ bezeichnet sind und senkrecht zur Laufrichtung $\vec c$ gerichtet sind, bilden die elektromagnetische Welle. Sie hat zwar die gleiche Frequenz wie die Ladungsschwingung und auch die gleiche Wellenlänge, wie die Welle auf der Feldlinie, ist aber eben nicht mit ihr identisch.
Die elektromagnetischen Wellen, die unseren Alltag bestimmen, wie das Licht der Sonne, das Leuchten des blauen Himmels oder die Wellen, über die unsere Handys funktionieren, werden noch komplexer erzeugt. Denn die Bausteine unserer Welt, die Atome und Mpleküle, sind überwiegend elektrisch neutral. Wenn in ihnen Ladungen schwingen, dann meistens in der Form, dass die kleinen leichten negativen Elektronen gegen die schwereren und trägeren positiven Kerne schwingen. Dadurch entstehen schwingende elektrische Dipole. Man nennt schwingende Dipole Hertzsche Dipole und die Strahlung elektrische Dipolstrahlung. Der Unterschied zwischen Dipolstrahlung und der Strahlung einer einzelnen schwingenden Ladung besteht darin, dass bei der Dipolstrahlung geschlossenen Feldlinienkringel entstehen, die sich von der Quelle ablösen. Denn bei einem schwingenden Dipol ist das Dipolmoment und damit auch das Feld periodisch immer wieder null. Bei einer einzelnen schwingenden Ladung ist es nie null. Alle sonstigen wesentlichen Eigenschaften sind gleich.
Simulation
Die folgende wunderschöne PhET-Simulation Radiating Charge (PhET Interactive Simulations, University of Colorado, https://phet.colorado.edu) ermöglicht es, diese Zusammenhänge auch visuell nachzuvollziehen.
Aufgaben zur Simulation: Finde selbst heraus, wie elektromagnetische Wellen entstehen:
Zusammenfassung
Wir fassen diese Modellvorstellung zusammen: Bei einer beschleunigten Ladung kann sich die Positionsänderung entlang einer Feldlinie nur mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Deshalb entstehen dabei Knicke in den Feldlinien, die sich mit Lichtgeschwindigkeit radial von der Ladung entfernen und die wir als Strahlung bezeichnen. Da der Kreisradius mit c wächst, breitet sich auch die Welle mit c radial aus. Weil die Knicke senkrecht zur Beschleunigung am ausgeprägtesten sind, ist hier die Amplitude der Welle am größten. Und weil in Beschleunigungsrichtung gar keine Knicke entstehen, wird in diese Richtung auch keine Welle erzeugt. Und weil die Knicke am Kreisrand verlaufen, steht der E-Vektor senkrecht zur Ausbreitung. Wir haben mit diesem Gedankenexperiment fast alle eingangs genannten Eigenschaften einer EM-Welle anschaulich gedeutet ($\vec B$ kommt später). Wir sagen abstrakt zusammenfassend: Eine EM-Welle ist eine lokale Änderung der elektrischen Feldstärke im Raum, die sich vom Ausgangspunkt mit Lichtgeschwindigkeit in radialer Richtung fortpflanzt und deren Feldvektor senrecht zur radialen Richtung steht. Genauso, wie sich bei einer transversalen mechanischen Welle eine lokale Änderung einer Auslenkung im Raum mit der Phasengeschwindigkeit fortpflanzt. Weiterführende Literatur zu den Inhalten dieser Seite siehe z. B. [1].
- ↑ Demtröder, Experimentalphysik 2, Elektrizität und Optik, Band 2, 5. Auflage, Springer Verlag Heidelberg (2009)