Bewegungen: Ort, Geschwindigkeit und Beschleunigung

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Physikalischer Kontext

Bewegung dominiert das Leben. Wir steigen aus dem Bett, fahren zur Uni oder zum Einkaufen. Eine Wolke bewegt sich am Himmel, die Moleküle der Luft bewegen sich, Wind lässt Blätter oder Gräser wedeln, Autos fahren, Flugzeuge fliegen, Äpfel fallen, Luftballons steigen auf, Schlitten rutschen, Räder rollen, Pferde gallopieren und Schnecken kriechen. Pendel schwingen, Flummis springen, Herzen schlagen. Und seit Urzeiten bewegt sich die Erde um die Sonne und ein Elektron um seinen Atomkern. In vielen physikalischen Phänomenen stecken Bewegungen: Elektrischer Strom ist die Bewegung von Ladungen, Licht ist die Bewegung elektromagnetischer Felder, die Energie eines Objektes und die Kraft, die es auf andere Objekte ausüben kann, hängen von seiner Bewegung ab.

Doch obwohl alle diese Bewegungen total unterschiedlich sind, können sie in der Physik mit nur einer einzigen universell anwendbaren Methode beschrieben werden. Diese Methode verwendet die drei physikalischen Größen Ort, Geschwindigkeit und Beschleunigung und die mathematischen Operationen Ableitung und Integration. Wenn Du mit diesen beiden mathematischen Operationen noch nicht vetraut bist, schaue sie Dir vorher an.

Die universelle Methode zur Beschreibung von Bewegungen ist ein Paradebeispiel dafür, wie man in der Physik vorgeht. In der Physik versucht man nämlich, möglichst allgemeingültige Gemeinsamkeiten einer Vielzahl scheinbar verschiedener Phänomene zu entdecken. Wenn man eine Gemeinsamkeit entdeckt hat, kann man diese als grundlegenden Zusammenhang oder Gesetz formulieren. Solche grundlegenden Zusammenhänge sind in den seltensten Fälle einfache "Formeln", sondern erfordern häufig etwas höhere Mathematik. Aber nicht viel. Schauen wir uns das jetzt am Beispiel der Bewegung an!

Fragen wir uns dazu zuerst: Was genau ist eigentlich "Bewegung"? Bewegung ermöglicht uns z.B., einen Film von einem Foto zu unterscheiden. Und was unterscheidet einen Film von einem Foto? Die Antwort ist: In einem Film sehen wir, dass die Zeit vergeht, und zwar, weil etwas sich verändert. Bewegungen zeigen uns, dass die Zeit vergeht, und zwar, indem etwas seinen Ort ändert. Genau darin liegt der Schlüssel zur Beschreibung. Die "Bewegung" an sich ist zwar ein beobachtbares physikalisches Phänomen, jedoch keine physikalische Größe. In der Physik beschreiben wir Bewegungen mit Hilfe der drei physikalischen Größen Ort x(t), Geschwindigkeit $v$(t) und Beschleunigung a(t), alle in Abhängigkeit von der Zeit t. Wir lernen jetzt, wie diese drei physikalischen Größen definiert sind. Dabei werden wir sehen, dass der universelle Zusammengang zwischen ihnen, den alle, wirklich alle Bewegungen gemeinsam haben, die Ableitung bzw. Integration nach der Zeit ist. Und schließlich werden wir uns anschauen, wie man diesen Zusammenhang benutzt und auf praktische Aufgaben anwendet.

Physikalische Größen zur Beschreibung von Bewegungen

Ort

Abb. 1 Darstellung einer Bewegung als Stroboskopbild und Funktionsgraph

Wir betrachten zuerst eine Bewegung eines Objektes entlang einer geraden Linie. Das nennen wir eine eindimensionale Bewegung. Diese Linie kann beliebig im Raum orientiert sein. Weil jedoch die Zusammenhänge dadurch anschaulicher werden, wurde in Abb.1, links die Bewegungsrichtung parallel zur Ortsachse gewählt. Wir fotografieren den Ort des Objektes zu bestimmten Zeitpunkten. Der Abstand der Zeitpunkte ist stets gleich, z. B. $\Delta t = 1\ \text s$. Das geht z.B., indem wir das Objekt mit einem Stroboskop beleuchten und deshalb nur in festen Zeitabständen sehen können (Abb1, links). Wenn wir alle erzeugten Fotos überlagern, erhalten wir das Stroboskopbild (Abb1, mitte), dass die Orte des Objektes zu den Zeitpunkten t0 bis t6 zeigt. Wir nennen die Ortskoordinaten in Bewegungsrichtung x. Den Ortsnullpunkt legen wir dorthin, wo das Objekt bei der ersten Messung war, und wählen die positive Richtung so, dass sie nach oben zeigt. Alle diese Festlegungen sind willkürlich. Man könnte die Koordinate z.B. auch z nennen, den Nullpunkt ganz nach oben legen und die positive Richtung nach unten wählen. Um die Bewegung physikalisch beschreiben zu können, muss man jedoch ein Koordinatensystem festlegen. Die Festlegung bestimmt die Vorzeichen und Zahlenwerte.

Stroboskopbild und Ort-Zeit-Darstellung

Im Stroboskopbild bewegt sich das Objekt zuerst von \(t_0\) bis \(t_3\) in die positive x-Richtung. Bei \(t_3\) kehrt es um und bewegt sich anschließend in die negative x-Richtung. Es erreicht die Ausgangsposition erneut bei \(t_5\) und bewegt sich dann weiter in die negative x-Richtung, nun jedoch bei negativen x-Werten bis $t_6$. Zwischen \(t_0\) und \(t_3\) nehmen die Abstände zwischen den Orten ab. Da die Zeitintervalle zwischen den Punkten immer gleich sind, zeigt der kleiner werdende Abstand der Orte, dass das Objekt langsamer wird. Denn in der gleichen Zeit schafft es weniger Strecke. Auf dem Rückweg zwischen \(t_3\) und \(t_6\) nehmen die Abstände zwischen den Orten wieder zu. Das Objekt wird somit schneller. Im Stroboskopbild sind die Orte des Objektes mit dem Zeitpunkt beschriftet. Wäre das nicht so, könnte man dem Stroboskopbild nur entnehmen, wo das Objekt mal war, nicht aber, wann es dort war. Dagegen zeigt das Ort-Zeit-Diagramm in Abb.1 rechts die Orte x(t) des Objektes in zeitlicher Reihenfolge horizontal auseinandergezogen. Deshalb zeigt das Ort-Zeit-Diagramm auch ohne Beschriftung der einzelnen Datenpunkte, wann das Objekt wo ist. Diese Form der Darstellung ist also viel aussagekräftiger als das Stroboskopbild. Es die Darstellung, die man in der Physik zur Beschreibung von Bewegungen wählt. Der Ort in Form der gewählten Koordinatenbezeichnung (hier x) wird auf der vertikalen Achse (Ordinate) und die Zeit t auf der horizontalen Achse (Abszisse) aufgetragen. Der Ort-Zeit-Darstellung kann man nicht entnehmen, wie die gerade Linie, auf der sich das Objekt bewegt, im Raum orientiert ist. Wenn das wichtig ist, muss man dies gesondert angeben.

Abb.F1
Verständnisfrage 1: Abb.F1 zeigt ein Stroboskopbild und vier Ort-Zeit-Diagramme. Welche der Diagramme passen zum Stroboskopbild? Begründe die Antwort!
Nur C! Bei A ist die zeitliche Reihenfolge falsch. Bei B liegt zum einen der Nullpunkt der Koordinatenachse falsch, zum anderen ist die Koodinate mit y statt mit x bezeichnet. Bei D sind die Achsenbeschriftungen x und t vertauscht. Nur bei C stimmt alles.



Weg

Abb.2 Richtung und Vorzeichen der Wegstücke

Als Weg verstehen wir im Alltag eine Angabe, wo man langgehen muss oder entlanggegangen ist, um von einem Startort zu einem Zielort zu kommen. Würden wir in diesem Sinn den Weg des Objektes zwischen t0 und t6 in Abb.2 beschreiben, dann wäre eine mögliche Beschreibung etwa so: Der Start liegt bei x = 0,0 m, von da geht der Weg geradeaus bis x = 9,0 m und dann auf dem gleichen Weg wieder zurück nach x = 0,0 m, nun aber noch weiter bis etwa x = -11,4 m. Die Wegbeschreibung beinhaltet dabei Start- und Zielort, sowie alle Orte unterwegs, an denen Richtungsänderungen erfolgen. Die Wegstücke von Ort zu Ort addieren sich. Der zurückgelegte Weg war insgesamt 2 × 9,0 m + 11,4 m = 29,4 m. Unser Objekt ist nicht auf direktem Weg vom Startort zum Zielort gewandert (dann wäre die Weglänge nur 11,4 m gewesen), sondern hat einen Umweg über x = 9,0 m genommen. Dadurch wurde der zurückgelegte Weg länger. Das ist in etwa die Alltagsvorstellung des Begriffes "Weg".

Finden wir diese Alltagsvorstellung auch in der Physik wieder? Nicht ganz, es gibt einen wesentlichen Unterschied. Die Gemeinsamkeit ist: Auch in der Physik beschreiben wir Wege über Wegstücke, die wir aneinanderreihen. Dabei ist jedes Wegstück gerade und führt in eine bestimmte Richtung. In der Physik sind Wege und Wegstücke vektorielle Größen, weil sie eine Richtung habe. Ohne die Richtung könnten wir keine mehrdimensionalen Bewegungen im Raum beschreiben. Bei einer Bewegung entlang einer geraden Bahn kann ein Weg bzw. Wegstück vereinfacht als Skalar betrachtet werden. Dann gibt nur das Vorzeichen die Richtung an. Ein solches gerades skalares Wegstück ist einfach der Abstand zwischen zwei nacheinander aufgesuchter Orte x(ti) und x(tj).

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Skalares Wegstück: $\Delta s_{ij}=x({t_j})-x({t_i})$, worin tj > ti. (Gl.1)

Für die Zeiten muss die Relation tj > ti (d.h. tj= nachher und ti = vorher) gelten, damit das Vorzeichen des Wegstückes richtig ist. In Abb.2 sind alle Wegstücke nach Gl.1 von t0 bis t6 eingezeichnet. Die roten sind positiv. Dabei bewegt sich das Objekt in die positive x-Richtung. Die blauen sind negativ. Dabei bewegt sich das Objekt in die negative x-Richtung.

Wo ist nun der Unterschied zur Alltagsvorstellung? Wege und Wegstücke in der Physik können aufgrund der Richtung auch ein negatives Vorzeichen haben, wodurch sich Wegstücke beim Summieren auch aufheben können. Deshalb entspricht ein Weg in der Physik nicht immer dem zurückgelegten Weg aus der Alltagsvorstellung! Denn in der Physik ist ein Wegstück nach Gl.1 einfach der direkte gerade Weg zwischen zwei beliebigen Orten, egal, wo das Objekt dazwischen war! Denn dahinter steckt die Vorstellung, dass wir es nur an diesen zwei Orten "fotografiert" haben und somit nicht wissen können, wo es dazwischen war.

Beispiel 1: Vorzeichen und Länge eines physikalischen Weges

In Abb.2 ist das Wegstück $\Delta s_{03}=x({t_3})-x({t_0})=\text{9,0 m}$ positiv. Das deckt sich mit der Alltagsvorstellung.
Das Wegstück $\Delta s_{36}=x({t_6})-x({t_3})=\text{−11,4 m − 9,0 m}=\text{−20,4 m}$ ist negativ. Das unterscheidet sich durch das Vorzeichen von der Alltagsvorstellung.

Das Wegstück zwischen t0 und t6 ist jedoch $\Delta s_{06}=x({t_6})-x({t_0})=\text{−11,4 m −0,0 m}=\text{−11,4 m}$. Es ist negativ und entspricht dem direkten Weg. Das unterscheidet sich grundlegend von der Alltagsvorstellung.


Wenn wir krumme Wege in der Physik durch solche geraden Wegstücke genau beschreiben wollen, müssen wir den Abstand der Orte und damit die Wegstücke sehr klein machen und aneinanderreihen. Das geht, indem wir das Zeitintervall zwischen zwei "Fotos" verringern.

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Verständniserkenntnis
Wegstücke sind in der Physik immer gerade und haben ein Vorzeichen. Wenn ein Punkt im Ort-Zeit-Diagramm nach oben wandert, bewegt sich das Objekt in Plus-Richtung und das Wegstück ist positiv. Wenn ein Punkt im Ort-Zeit-Diagramm nach unten wandert, dann bewegt es sich in die Minus-Richtung und das Wegstück ist negativ.

Abb.F2
Verständnisfrage 2: Abb.F2 zeigt ein Ort-Zeit-Diagramm und sechs Punkte A bis F. Betrachte die Wegstücke $\Delta s_{AB}$ bis $\Delta s_{EF}$ zwischen benachbarten Punkten. a) Gruppiere die Wegstücke nach ihrem Vorzeichen! b) Sortiere die Wegstücke nach der Weglänge (Betrag, kleinste zuerst)! c) Gib für jedes Wegstück den Zahlenwert an!
Abb.F2a
a) positiv: ΔsBCsCD, ΔsDE, negativ: ΔsAB, ΔsEF

b) ΔsBC = ΔsDE = ΔsEF < ΔsCD < ΔsAB

c) ΔsAB = −5,0 m, ΔsBC = 2,0 m, ΔsCD = 3,0 m, ΔsDE = 2,0 m, ΔsEF = −2,0 m



Ort-Zeit-Kurve

Abb. 3 Übergang zur kontinuierlichen x(t)-Kurve

Wenn man den zeitlichen Abstand zwischen den Fotos kürzer macht, erhält man auch Orte zwischen den Zeitpunkten in Abb.2. Wenn man den Abstand sogar null werden lässt, dann wird das Stroboskopbild zu einer lückenlosen Linie und der x(t)-Plot zu einer lückenlosen x(t)-Kurve. Das zeigt Abb.3. Die lückenlose Kurve entspricht der kontinuierlichen Beobachtung des Objektes und ist offensichtlich die beste, weil vollständige Variante. Für uns Menschen ist das die ganz natürliche Form der Beobachtung. Wenn wir einen spannenden Film schauen, dann blicken wir ununterbrochen auf den Monitor (bis auf kurze Momente, in denen wir unbewusst blinzeln müssen), um möglichst nichts zu verpassen.

Deshalb sollte man sich fragen, warum man denn in der Physik nicht auch einfach von vornherein kontinuierlich beobachtet, anstatt mit dieser unvollständigen lückenhaften Stroboskop-Beobachtung zu starten, um diese erst am Ende irgendwie künstlich kontinuierlich zu machen? Der Grund, warum man so vorgeht, ist äußerst wichtig und fundamental, dahinter steckt System: In der Physik wird auch eine kontinuierliche Beobachtung als eine zeitpunktweise Beobachtung beschrieben, nur dass der Zeitabstand der "Fotos" dann beliebig klein ist. Es geht sogar noch tiefer: Jede kontinuierliche physikalische Größe kann in beliebig kleine Stückchen zerlegt und letztlich über diese Stückchen beschrieben werden. Es ist wichtig, dieses Konzept zu erkennen, denn darin liegt der Schlüssel zum Verständnis nicht nur der folgenden, sondern aller differentiellen Zusammenhänge, wenn nicht gar der gesamten Physik. Der "Umweg" über die großen Zeitabstände hat den Vorteil, dass sie anschaulich nachvollziehbar sind. Deshalb betrachtet man sie zuerst. Und sie sind äußerst nützlich, denn alle Zusammenhänge, die man für die großen Zeitabstände findet, gelten auch für die ganz kleinen Zeitabstände, d.h. für die kontinuierliche Kurve. Deshalb verwendet man nicht von Anfang die kontinuierliche Kurve.

Verlauf der Ort-Zeit-Kurve

Abb. 4 Stroboskopbild und Ort-Zeit-Kurve

Bevor wir das weiter verfolgen, wollen wir den Zusammenhang zwischen der Bewegung und dem Verlauf der Ort-Zeit-Kurve vertiefen. Denn im Verlauf der Ort-Zeit-Kurve stecken tatsächlich schon alle Informationen über die Bewegung. Die Frage ist nur, wie wir sie daraus ablesen können. Abb.4 zeigt noch einmal das Stroboskop-Bild und die Ort-Zeit-Kurve aus Abb.1 und Abb.2. Wenn wir das Stroboskopbild und die Ort-Zeit-Kurve in zeitlicher Reihenfolge durchgehen und vergleichen, sehen wir folgendes: Zuerst bewegt sich das Objekt im Stroboskopbild in die positive x-Richtung und wird immer langsamer, weil die Ortsabstände kleiner werden. Das erzeugt eine Ort-Zeit-Kurve, die ansteigt und deren Anstieg immer flacher wird. Je flacher der Anstieg, umso langsamer bewegt sich das Objekt. Dann kehrt das Objekt im Stroboskopbild die Bewegungsrichtung um und wird dabei immer schneller. Das erzeugt eine fallende Ort-Zeit-Kurve, die immer steiler wird. Daraus können wir folgende allgemeingültige Erkenntnis extrahieren:

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Verständniserkenntnis
Wenn die Ort-Zeit-Kurve ansteigt, bewegt sich das Objekt in Plus-Richtung und der Weg ist positiv. Fällt die Ort-Zeit-Kurve ab, dann bewegt es sich in die Minus-Richtung und der Weg ist negativ. Je steiler die Ort-Zeit-Kurve in Zeitrichtung ansteigt oder abfällt, umso schneller bewegt sich das Objekt.

Das sind wichtige fundamentale Zusammenhänge, mit denen wir die Geschwindigkeit aus der Ort-Zeit-Kurve bestimmen können. Das schauen wir uns jetzt genauer an.

Abb.F3
Verständnisfrage 3: Abb.F3 zeigt ein Stroboskopbild und vier Ort-Zeit-Kurven. Das Objekt bewegt sich ausgehend von t0 nach oben. Welche der Ort-Zeit-Kurven passt von ihrem Verlauf am besten zu diesem Stroboskopbild? Begründe die Antwort!
Nur Kurve C passt. Das Objekt bewegt sich immer nach oben, d.h. die Ort-Zeit-Kurve muss immer ansteigen. Darum kann es Kurve A nicht sein, denn sie fällt nach der Hälfte der Zeit. Das Objekt startet bei x = 0 und bewegt sich nur bei positiven x-Werten, daher kann es auch Kurve B nicht sein, denn die beginnt bei negativen x-Werten. Das Objekt wird anfangs schneller, weil die Ortsabstände größer werden. und bewegt sich dann mit konstantem Tempo, weil die Ortsabstände danach gleich bleiben. Daher muss die x(t)-Kurve anfangs steiler werden und dann ihre Steigung behalten. Darum scheidet auch Kurve D aus, denn diese wird anfangs flacher. Nur bei Kurve C passt alles.


Abb.F4
Verständnisfrage 4: Abb.F4 zeigt eine Ort-Zeit-Kurve, in der sechs Punkte A bis F markiert sind. Sortiere die Punkte in Abb.F4 aufsteigend danach, wie schnell das Objekt dort ist (langsamste Stelle zuerst)! Begründe die Antwort!
Die Reihenfolge ist E < F < C = D < B < A. Denn die Schnelligkeit des Objektes steckt darin, wie steil die Kurve nach oben oder unten verläuft. Bei E ist sie am flachsten, bei A am steilsten. Bei B ist sie etwas weniger steil als bei A, jedoch immer noch steiler als bei C und D, die beide etwas doppelt so steil wie F sind. Für das Tempo ist es unerheblich, ob die Kurve abfällt oder ansteigt.



Geschwindigkeit

Die Geschwindigkeit gibt an, wie die Änderung des Ortes eines Objektes in einem Zeitintervall ist. Man teilt den vertikalen Abstand zweier Punkte in einem Ort-Zeit-Diagramm (ein Wegstück) durch ihren horizontalen Abstand (der dafür benötigten Zeit). Die Einheit der Geschwindigkeit ist daher $[v] =\dfrac{\text{m}}{\text s}$. Wir wenden das zuerst auf punktweise Ort-Zeit-Diagramme und danach auf kontinuierliche Kurven an. Für einzelne Punkte können wir nur die mittlere Geschwindigkeit zwischen zwei Zeitpunkten angeben. Für kontinuierliche Kurven können wir die Geschwindigkeit zu jedem Zeitpunkt angeben. Die mittlere Geschwindigkeit betrachten wir, um zu lernen, dass die physikalische Größe "Geschwindigkeit" etwas anders ist, als das, was wir im Alltag unter dem Begriff "Geschwindigkeit" verstehen. Danach wird sie uns kaum noch begegnen. Denn die eigentliche physikalische Größe Geschwindigkeit ist die, die wir aus kontinuierlichen Kurven gewinnen.

Mittlere Geschwindigkeit

Die mittlere Geschwindigkeit (oder auch Durchschnittsgeschwindigkeit) zwischen zwei beliebigen Zeitpunkten ti und tj ist

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Mittlere Geschwindigkeit (Durchschnittsgeschwindigkeit): $\bar v_{ij}=\frac{x({t_j})-x({t_i})}{t_j-t_i}=\frac{\Delta s_{ij} }{\Delta t}$, worin tj > ti. (Gl.2)

Der Überstrich bedeutet dabei "Mittelwert". Für die Zeiten muss wie beim Wegstück die Relation tj > ti (d.h. tj= nachher und ti = vorher) gelten, damit das Vorzeichen der Geschwindigkeit richtig ist. Wie ein Wegstück hat auch die physikalische Größe "Geschwindigkeit" eine Richtung und ist eine vektorielle Größe. Und wie ein Wegstück können wir bei einer eindimensionalen Bewegung die mittlere Geschwindigkeit vereinfacht als Skalar beschreiben und die Richtung durch das Vorzeichen angeben. Die Geschwindigkeit hat immer die gleiche Richtung und das gleiche Vorzeichen wie das Wegstück. Klären wir zuerst den Unterschied zur Alltagsbedeutung, der sich daraus ergibt.

Unterschied zur Alltagsbedeutung: Vorzeichen und Weg

Folgende Beispiele verdeutlichen den Unterschied der physikalischen Geschwindigkeit (Gl.2) zur Alltagsbedeutung: Nehmen wir an, wir laufen schnell zum Briefkasten, werfen einen Brief ein, und kehren nach Hause zurück. Hin- und Rückweg dauerten jeweils 3 Minuten und der Briefkasten ist 300 m entfernt. Im Alltag würden wir sagen, wir sind auf dem Hinweg und auf dem Rückweg mit der Geschwindigkeit von v = 100 m/min gelaufen. Das heißt, wir sind den gesamten zurückgelegten Weg von 600 m (bis auf den kurzen Stop am Briefkasten), mit v = 100 m/min gelaufen. Oder wenn wir morgens mit unserem Hund eine Gassi-Runde gehen, und dabei einen Weg s = 2,0 km in einer Zeit t = 0,5 h zurücklegen (einmal um den Häuserblock in einer halben Stunde), dann würden wir sagen, dass wir mit der "Geschwindigkeit" $v=s/t = \text{4 km/h}$ unterwegs waren. Im Alltag nutzen wir nie negative Wege oder Geschwindigkeiten, sondern bewegen uns hin und her, vorwärts oder rückwärts, auf und ab oder im Kreis, aber immer mit positiver Geschwindigkeit auf Wegen, die sich nur addieren. Weg und Geschwindigkeit sind losgelöst davon, in welche Richtung wir laufen und wo wir starten und wo wir ankommen.

In der Physik geht man anders vor. Die Richtungen von Weg und Geschwindigkeit sind nämlich wichtig und werden auch über die Vorzeichen erfasst. Ohne die Richtungen könnten wir keine mehrdimensionalen Bewegungen im Raum beschreiben. Physikalisch betrachtet sind wir auf dem Hinweg zum Briefkasten mit $\bar v_{hin}$ = 100 m/min und auf dem Rückweg mit $\bar v_{rück}$ = − 100 m/min und über den gesamten Weg mit $\bar v_{ges}$ = 0 m/min gelaufen. Auf dem Hinweg sind Weg und mittlere Geschwindigkeit positiv, auf dem Rückweg sind beide negativ und für den gesamten Weg ist die mittlere Geschwindigkeit null, weil auch der gesamte Weg null ist. Und bei der Gassi-Runde befindet man sich am Ende wieder am Ausgangsort, und deshalb sind der gesamte Weg und die mittlere Geschwindigkeit ebenfalls null! Weil Weg und Geschwindigkeit Vorzeichen haben, können sie sich aufheben! Daran muss man sich erstmal gewöhnen! Die physikalische Sichtweise verdeutlichen Beispiel 2 und Beispiel 3.

Abb.B2 Vorzeichen der mittleren Geschwindigkeit
Beispiel 2: Hin- und Rückweg zum Briefkasten

Wieder müssen wir zuerst eine Bezeichnung für die Bewegungsrichtung und deren positive Richtung festlegen. Wir wählen diesmal y als Bezeichnung für die Koordinatenrichtung zum Briefkasten und die Richtung zum Briefkasten sei positiv. Abb.B2 zeigt das entsprechende Ort-Zeit-Diagramm mit drei Punkten. Wir nennen die drei Zeitpunkte t0, t1 und t2. Bei t0 = 0 min starten wir, bei t1 = 3 min sind wir am Briefkasten und bei t2 = 6 min sind wir zurück. Wir wenden jetzt Gl.1 auf diese Ort-Zeit-Kurve an:
Für den Hinweg ist $\Delta t=t_{1}-t_{0}=\text{3 min - 0 min}=\text{3 min}$. Die Orte sind y(t0) = 0 m, y(t1) = 300 m und $\Delta y=\text{300 m - 0 m}=\text{300 m}$. Der Weg ist positiv. Das ergibt die positive mittlere Geschwindigkeit $\bar v_{hin}=\frac{\text{300 m} }{\text{3 min} } = \text{100 m/min}$.
Auf dem Rückweg ist $\Delta t=t_2-t_1=\text{6 min - 3 min}=\text{3 min}$. Die Orte sind jedoch y(t1) = 300 m, y(t2) = 0 m und $\Delta y=\text{0 m - 300 m}=\text{-300 m}$. Der Weg ist negativ. Das ergibt die negative mittlere Geschwindigkeit $\bar v_{rück}=\frac{\text{-300 m} }{\text{3 min} } = \text{-100 m/min}$.

Auf dem gesamten Weg ist $\Delta t=t_2-t_0=\text{6 min - 0 min}=\text{6 min}$. Die Orte sind jedoch y(t0) = 0 m, y(t2) = 0 m und $\Delta y=\text{0 m - 0 m}=\text{0 m}$. Der Weg ist null. Das ergibt die verschwindende mittlere Geschwindigkeit $\bar v_{ges}=\frac{\text{0 m} }{\text{6 min} } = \text{0 m/min}$.


Abb.B3
Beispiel 3: Mittlere Geschwindigkeit (Durchschnittsgeschwindigkeit) anhand der Ort-Zeit-Kurve aus Abb.1 bis Abb.3.

In Abb.B3 ist die mittlere Geschwindigkeit zwischen t1 = 1,0 s und t2 = 2,0 s gleich $\bar v_{12}=\frac{x(t_2)-x(t_1)}{t_2-t_1}$. Wir lesen die x-Werte ab: x(t1) = 5,0 m, x(t2) = 8,0 m. Damit ist $\Delta x=\text{8,0 m - 5,0 m}=\text{3,0 m}$ und $\Delta t=\text{2,0 s - 1,0 s}=\text{1,0 s}$ und $\bar v_{12}=\frac{\text{3,0 m} }{\text{1,0 s} } = \text{3,0 m/s}$. Der Zahlenwert ist positiv, ebenso der Anstiegswinkel des grünen Verbindungspfeils von x(t1) nach x(t2), weil die Kurve "bergauf" geht.

In Abb.B3 ist die mittlere Geschwindigkeit zwischen t4 = 4,0 s und t5 = 5,0 s gleich $\bar v_{45}=\frac{x(t_5)-x(t_4)}{t_5-t_4}$. Wir lesen die x-Werte ab: x(t4) = 6,8 m, x(t5) = 0,0 m. Damit ist $\Delta x=\text{0,0 m - 6,8 m}=\text{-6,8 m}$ und $\Delta t=\text{5,0 s - 4,0 s}=\text{1,0 s}$ und $\bar v_{45}=\frac{\text{-6,8 m} }{\text{1,0 s} } = \text{-6,8 m/s}$. Der Zahlenwert ist negativ, ebenso der Anstiegswinkel des grünen Verbindungspfeils von x(t4) nach x(t5), weil die Kurve "bergab" geht.

In Abb.B3 ist die mittlere Geschwindigkeit zwischen t0 = 0,0 s und t5 = 5,0 s gleich $\bar v_{05}=\frac{x(t_5)-x(t_0)}{t_5-t_0}$.

Wir lesen die x-Werte ab: x(t0) = 0,0 m, x(t5) = 0,0 m. Damit ist $\Delta x=\text{0,0 m - 0,0 m}=\text{0,0 m}$ und $\Delta t=\text{5,0 s - 0,0 s}=\text{5,0 s}$ und $\bar v_{05}=\frac{\text{0,0 m} }{\text{5,0 s} } = \text{0,0 m/s}$. Der Zahlenwert ist null, ebenso der Anstiegswinkel des grünen Verbindungspfeils von x(t0) nach x(t5), weil die Kurve zwischen beiden Punkten gleich weit "bergauf" und "bergab" geht.


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Verständniserkenntnis
In der Physik haben Weg und Geschwindigkeit ein Vorzeichen, und zwar immer das gleiche. Das Vorzeichen gibt die Richtung der Bewegung an. Bei einer Bewegung in die positive Koordinatenrichtung, d.h. bei ansteigender Ort-Zeit-Kurve, sind Weg und Geschwindigkeit positiv. Bei einer Bewegung in die negative Koordinatenrichtung, d.h. bei abfallender Ort-Zeit-Kurve, sind Weg und Geschwindigkeit negativ. Die mittlere Geschwindigkeit zwischen zwei Zeitpunkten errechnet sich aus der Ortsdifferenz zwischen den Orten beider Zeitpunkte: $\bar v=\frac{\text{Ortsdifferenz} }{\text{Zeit} }$. Wenn der Ort zu beiden Zeitpunkten gleich ist, dann ist die mittlere Geschwindigkeit null.


Mittleres Tempo und mittlere Geschwindigkeit

Wie wir bisher gesehen haben, deckt sich die mittlere Geschwindigkeit nicht mit dem, was man im Alltag mit Geschwindigkeit meint. Will man die Alltagsbedeutung ausdrücken, kann man dafür statt des Wortes "Geschwindigkeit" die Worte Tempo oder Schnelligkeit verwenden. Beide sind keine physikalischen Fachbegriffe oder physikalische Größen. Nur Geschwindigkeit ist ein physikalischer Fachbegriff und eine physikalische Größe.

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Das mittlere Tempo (Schnelligkeit) ist der Betrag der aus dem zurückgelegten Weg berechneten Geschwindigkeit: $\vert\bar u\vert=\frac{\text{zurückgelegter Weg} }{\text{Zeit} }=\frac{\Delta s}{\Delta t}$. Der zurückgelegte Weg Δs ist die Summe der Beträge aller Wegstücke zwischen Start- und Zielort. Das mittlere Tempo ist stets positiv und nie null, sobald ein Objekt seinen Ort zumindest zeitweise verändert hat. (Gl.2)
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Verständniserkenntnis
In der Schule lernt man meistens Geschwindigkeit = Weg pro Zeit. Das ist zu ungenau, wenn man nicht präzise sagt, was der Weg ist. In der Physik ist der Weg die Ortsdifferenz zwischen Start- und Zielort. Und nicht - entgegen der landläufigen Vorstellung - die zwischen Start- und Zielort zurückgelegte Strecke. Geschwindigkeit und Tempo sind unterschiedliche Dinge. Das Tempo ist kein physikalischer Fachbegriff und keine physikalische Größe.

Abb.B4
Beispiel 4: Mittleres Tempo und mittlere Geschwindigkeit

Wenn man im Zeitintervall Δt einmal im Kreis mit dem Radius R läuft,

  • ist das mittlere Tempo $\vert\bar u\vert=\frac {2 \pi R}{\Delta t}>0$.
  • ist die mittlere Geschwindigkeit $\bar v =0$, weil die Ortsdifferenz von Start und Ziel Δx = 0 ist.

In Abb.B4 ist zwischen t0 und t5

  • das mittlere Tempo $\vert{\bar u}_{05}\vert = \frac{\text{18 m} }{\text{ 5,0 s} }=\text{3,6 m/s}>0$, weil das Objekt zuerst in der Zeitspanne von t0 = 0,0 s nach t3 = 3,0 s einen Weg Δs03 =x(t3) − x(t0) = 9,0 m in die positive Richtung, und dann von t3 = 3,0 s bis t5 = 5,0 s einen Weg von Δs35 =x(t3) − x(t5) = −9,0 m in die negative Richtung zurücklegt. Der zurückgelegte Weg ist die Summe der Beträge dieser Teilstrecken: $\Delta s=\vert \Delta s_{03}\vert+\vert \Delta s_{35}\vert =\vert\text{9,0 m}\vert+\vert \text{-9,0 m}\vert=\text{18 m}$.
  • die mittlere Geschwindigkeit ${\bar v}_{05}=0$, weil das Objekt wieder zum Ausgangsort zurückkehrt. Die Ortsdifferenz ist \(\Delta x=x(t_5) - x(t_0)=0\).


Geschwindigkeit

Jetzt verlassen wir die mittlere Geschwindigkeit und wenden uns der Geschwindigkeit zu jedem Zeitpunkt ("momentane Geschwindigkeit") und damit der allgemeingültigen Geschwindigkeit zu. Lässt man die Zeitabstände im Stroboskopbild immer kürzer werden, d.h. erhöht man die Blitzfrequenz, dann sieht man immer mehr Orte in immer kürzeren Zeitabständen. Wenn man schließlich kontinuierlich beleuchtet, sieht man den Ort zu jeder Zeit und aus den einzelnen Punkten wird die kontinuierliche Kurve. Wir werden jetzt lernen, wie man diesen Übergang zur kontinuierlichen Kurve mathematisch macht. Dann werden wir lernen, wie man aus einer kontinuierlichen Ort-Zeit-Kurve die Geschwindigkeit zu jeder Zeit bestimmt.

Mathematisch geschieht der Übergang zur kontinuierlichen Kurve durch die Grenzwertbildung $\Delta t\to 0$. Wenn wir diesen Grenzwert für die mittlere Geschwindigkeit in Gl.2 durchführen, erhalten wir die mathematische Ableitung der Ort-Zeit-Kurve nach der Zeit. Eine Ableitung nach der Zeit nennen wir Zeitableitung. Diese Zeitableitung der Ort-Zeit-Kurve ist Geschwindigkeit-Zeit-Kurve des Objektes, die seine Geschwindigkeit zu jedem Zeitpunkt angibt. Das muss so, denn eine Geschwindigkeit bleibt eine Geschwindigkeit, auch wenn wir die Ortsabstände und Zeitintervalle kleiner werden lassen. Spricht man in der Physik ohne Zusatz von "der Geschwindigkeit", dann meint man genau diesen Grenzwert, d.h. die mathematische Zeitableitung der Ortskurve. Für die Zeitableitung hat die Physik eine spezielle Schreibweise: Der Punkt über einem Symbol bedeutet in der Physik "Ableitung nach der Zeit t".

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Geschwindigkeit $v(t)=\underset{\Delta t\rightarrow 0}{\lim }\dfrac{x(t+\Delta t)-x(t)}{(t+\Delta t)-t}=\dfrac{dx}{dt}=\dot x(t)$ (Gl.4)
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Verständniserkenntnis
Die physikalische Größe Geschwindigkeit ist $v(t)=\dfrac{ {\rm d}x}{ {\rm d}t}=\dot x(t)$. Sie ist die Zeitableitung der Ort-Zeit-Kurve. Sie ist identisch mit der momentanen Geschwindigkeit und wird einfach nur als "Geschwindigkeit" bezeichnet.

Wie lässt sich nun diese Definition verstehen und mit Zusammenhängen, die man aus der Schule kennt, wie $v=s/t$ oder $v=a t$ vereinbaren? Wie lässt sie sich überhaupt praktisch anwenden? Das schauen wir uns jetzt an. Das folgende kann man jedoch nur verstehen, wenn man mit der mathematischen Ableitung (Differentiation) vertraut ist.

Verständnisfrage 5: Wie ist in der Physik die Geschwindigkeit allgemeingültig gegeben? A) $\bar v_{ij}=\frac{\Delta s_{ij} }{\Delta t}$, B) $v=\dfrac{s }{t}$, C) $v=\dot x$, D) $v=a t + v_0$?
Nur C) ist richtig. Alle anderen Beziehungen gelten nicht allgemein, sondern geben die Geschwindigkeit unter ganz bestimmten Bedingungen und Einschränkungen an!


Die Ableitung einer Kurve gibt anschaulich die Steigung der Kurve an jedem ihrer Punkte an. Die Steigung ist aber nichts anderes als die Angabe, wie steil der Anstieg oder Abfall einer Kurve ist. Wir haben bereits oben gesehen, dass der Verlauf der Ort-Zeit-Kurve, genauer ihre Steilheit, ein Maß für die Schnelligkeit des Objektes ist. Und zwar, je steiler umso schneller. Genau diese Erkenntnis steckt in Gl.4, nicht mehr und nicht weniger. Die Zeitableitung der Ort-Zeit-Kurve ermöglicht es uns, ihre Steilheit und damit die Geschwindigkeit der Bewegung an jedem Punkt anzugeben. Auch das Vorzeichen wird dabei richtig erfasst. Denn eine mit zunehmendem t ansteigende Ort-Zeit-Kurve hat eine positive Steigung, eine mit zunehmendem t abfallende Ort-Zeit-Kurve hat eine negative Steigung.

Abb.B5: Geschwindigkeit als Steigung der Ort-Zeit-Kurve
Beispiel 5: Ort-Zeit-Kurven "lesen"

Abb.B5 zeigt die Ort-Zeit-Kurve eines spielenden Hundes. Wir "lesen" die Ort-Zeit-Kurve in Abb.B5 von links nach rechts (in Zeitrichtung) und erzählen die Geschichte der Geschwindigkeit.

  • Von t0 bis t1 läuft die Kurve horizontal. In diesem Bereich ist $v=0$. Der Hund steht still.
  • Von t1 bis etwa t2 steigt die Kurve an und wird steiler. In diesem Bereich ist $v$ positiv und nimmt zu. Der Hund startet langsam und wird immer schneller. Kurz vor t2 bremst der Hund bis zum Stillstand und kehrt bei t2 die Richtung um.
  • Ab t2 fällt die Kurve nahezu gerade bis t3. Deshalb bewegt sich der Hund mit nahezu konstanter negativer Geschwindigkeit bis t3. Kurz vor t3 bremst der Hund bis zum Stillstand und kehrt bei t3 erneut die Richtung um.
  • Ab t3 steigt die Kurve wieder nahezu gerade an bis t4. Die Steigung ist etwa so groß wie kurz vor t2. In diesem Bereich ist $v$ wieder positiv, bleibt in etwa konstant, und der Hund ist wieder so schnell wie kurz vor t2. Kurz vor t4 bremst der Hund bis zum Stillstand und kehrt bei t4 ein drittes mal die Richtung um.
  • Von t4 bis t5 fällt die Kurve wieder gerade ab. Die Steigung ist aber nur etwa halb so groß wie zwischen t2 und t3. In diesem Bereich ist $v$ negativ und konstant, der Hund ist aber nur halb so schnell wie zwischen t2 und t3.
  • Ab t5 läuft die Kurve wieder horizontal. Das Hund hat bei t5 bis zum Stillstand abgebremst. Ab t5 ist $v=0$. Der Hund steht still.


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Verständniserkenntnis
Eine Ort-Zeit-Kurve zu "lesen", bedeutet, sie im Kopf in eine Vorstellung von der Bewegung, d.h. in die Bewegungsrichtung und die Geschwindigkeit zu übersetzen. Wenn man das kann, dann hat man den physikalischen Zusammenhang zwischen Ort und Geschwindigkeit tatsächlich verstanden. Die Kenntnis einer Formel ist dafür nicht notwendig. Der große Physiker Michal Faraday[1] hat uns bahnbrechende Erkenntnisse über Elektrizität, Magnetismus und Induktion hinterlassen und kam dabei ohne eine einzige mathematische Formel aus. Die "Formel" ist nur eine von mehreren Möglichkeiten, physikalische Zusammenhänge darzustellen. Eine Formel "auswendig zu kennen" nützt nichts, wenn man sie nicht genau wie eine Ort-Zeit-Kurve "lesen", d.h. in eine Vorstellung des physikalischen Zusammenhangs übersetzen kann. Erst dann, wenn man auch das kann, erkennt man: $v(t)=\dot x(t)$ ist nur eine sehr abstrakte Art auszudrücken, wie man eine Ort-Zeit-Kurve "liest".

Abb.F6 Ort-Zeit-Kurve eines Körpers
Verständnisfrage 6: Abb.6 zeigt die Ort-Zeit-Kurve eines Körpers. "Lies" die Kurve und sortiere folgende Geschwindigkeiten aufsteigend (kleinste zuerst): $v_A$( −2 s), $v_B$( −1 s), $v_C$(  0 s), $v_D$( 2 s), $v_E$( 4 s), $v_F$( 5 s)!
F < E < D < C < B < A, denn für die Geschwindigkeit $v$ muss das Vorzeichen beachtet werden. Zu Beginn der Kurve ist die Geschwindigkeit am größten. Mit zunehmendem t bremst der Körper ab, bis er bei t = 2 s sogar kurzzeitig stillsteht ($v = 0\ \text{m/s}$). Danach ist seine Geschwindigkeit negativ und wird daher immer kleiner, wenn das Tempo zunimmt.


Abb.F7
Verständnisfrage 7a: Abb.F7 zeigt die Ort-Zeit-Kurven dreier Körper. Welcher Körper hat im gezeigten Zeitraum die größte Höchstgeschwindigkeit?
C, denn seine Kurve ist am Ende steiler als alle anderen irgendwo.


Verständnisfrage 7b: Sortiere die Körper in Abb.F7 nach ihrer Geschwindigkeit $v_0$ bei t0=0, d.h. an der Stelle, wo die Kurve die x-Achse scheidet (größte zuerst)!
A>C>B, denn für A steigt die Kurve dort ($v_0 >0$), für C ist sie in etwa horizontal ($v_0 \approx 0$) und für B fällt sie dort ($v_0 <0$).


Geschwindigkeit aus Ort-Zeit-Kurve berechnen

Bisher haben wir uns das Verständnis des Zusammenhangs zwischen Ort-Zeit-Kurve und Geschwindigkeit-Zeit-Kurve erarbeitet. Nun schauen wir uns konkrete Berechnungen an. Für die Berechnungen gehen wir davon aus, dass die Ort-Zeit-Kurve als Funktion der Zeit, z.B. als x(t) gegeben ist.

Abb.B6: x(t)-Kurven (oben) und ihre v(t)-Kurven (unten)
Beispiel 6: Geschwindigkeit aus Ort-Zeit-Kurve berechnen

Wir berechnen aus den drei Ort-Zeit-Kurven x(t) in Abb.B6 oben die Geschwindigkeit-Zeit-Kurven v(t), die in Abb.B6 unten gezeigt sind. Kurve A ist eine Gerade $x(t)= (2,0\ \text{m/s}) t + 1,0\ \text{m}$, Kurve B ist eine Parabel $x(t)= \frac 12(4,0\ \text{m/s}^2) t^2+(-6,0\ \text{m/s}) t + 4,0\ \text{m}$ und Kurve C ist eine Sinus-Funktion $x(t)= (4,0\ \text{m}) \cdot \sin(\dfrac{2\pi}{(4,0\ \text{s}) }t)$. Für alle drei Kurven berechnen wir die Geschwindigkeit-Zeit-Kurve, indem wir die Ort-Zeit-Kurve nach der Zeit ableiten. (Spätestens jetzt musst Du mit Ableitungen vertraut sein! Die Zeitableitung von c ·tn mit einer bliebige Konstante c ist $\frac d{dt}c\cdot t^n=\dot{c t^n}=n\cdot c\cdot t^{n-1}$.)
Kurve A:

  • Die Ort-Zeit-Kurve ist gegeben durch $x(t)= (2,0\ \text{m/s}) t + 1,0\ \text{m}$.
  • Die Geschwindigkeit-Zeit-Kurve ergibt sich durch die Ableitung von x(t) nach t: $v(t)=\dot x=2,0\ \text {m/s}$.

Kurve B:

  • Die Ort-Zeit-Kurve ist gegeben durch $x(t)= \frac 12(4,0\ \text{m/s}^2) t^2+(-6,0\ \text{m/s}) t + 4,0\ \text{m}$.
  • Die Geschwindigkeit-Zeit-Kurve ergibt sich durch die Ableitung von x(t) nach t: $v(t)=\dot x=2 \cdot\frac 12(4,0\ \text{m/s}^2) t+(-6,0\ \text{m/s})=(4,0\ \text{m/s}^2) t-6,0\ \text{m/s}$.

Kurve C:

  • Die Ort-Zeit-Kurve ist gegeben durch $x(t)= (4,0\ \text{m}) \cdot \sin(\dfrac{2\pi}{(4,0\ \text{s}) }t)$. Die Ableitung von $\sin(c t)$ ist $c\cdot \cos(c t)$.
  • Die Geschwindigkeit-Zeit-Kurve ergibt sich durch die Ableitung von x(t) nach t: $v(t)=\dot x=\dfrac{2\pi}{(4,0\ \text{s}) }(4,0\ \text{m}) \cdot \cos(\dfrac{2\pi}{(4,0\ \text{s}) }t)=(2\pi\ \text{m/s}) \cdot \cos(\dfrac{2\pi}{(4,0\ \text{s}) }t)$.


Beispiel 6 zeigt nicht nur die mathematische Vorgehensweise, sondern auch drei wichtige Formen der Bewegung:

  • Kurve A zeigt eine gleichförmige Bewegung. Sie liegt immer vor, wenn die Ort-Zeit-Kurve eine Gerade ist. Dann ist die Geschwindigkeit-Zeit-Kurve eine Konstante.
  • Kurve B zeigt eine gleichmäßig beschleunigte Bewegung. Sie liegt immer vor, wenn die Ort-Zeit-Kurve eine Parabel ist. Dann ist die Geschwindigkeit-Zeit-Kurve eine Gerade.
  • Kurve C zeigt eine harmonische Schwingung. Sie liegt immer vor, wenn die Ort-Zeit-Kurve eine Sinus- oder Cosinusfunktion ist. Dann ist die Geschwindigkeit-Zeit-Kurve jeweils die andere Funktion (Sinus wird zum Cosinus und Cosinus zum Sinus).
Verständnisfrage 8: Der Ort eines Körpers kann durch die Ort-Zeit-Funktion $x(t)=1\text{ m}\times \sin(\frac{2\pi}{2\text{ s} }\ t)$ beschrieben werden. Gib Ort und Geschwindigkeit des Körpers zum Zeitpunkt t = 2 s an!
Für den Ort ergibt sich $x(t)=1\text{ m}\times \sin(\underbrace{\dfrac{2\pi}{2\text{ s} }\times 2\text{ s} }_{2\pi})=0\text{ m}$, denn sin(2π) = 0. Für die Geschwindigkeit müssen wir ableiten: $v(t)=\dot x(t)=\frac{2\pi}{2\text{ s} }\times 1\text{ m}\times \cos(\frac{2\pi}{2\text{ s} }\ t)$. Das ergibt $v=\frac{2\pi}{2\text{ s} }\times 1\text{ m}\times \cos(\frac{2\pi}{2\text{ s} }\times 2\text{ s})=\pi \text{ m/s}$, denn cos(2π)= 1


Abb.B7:Geraden als x(t)-Kurven
Beispiel 7: Die Beziehung $v=\dfrac st$ aus $v=\dot x$ berechnen

Die Beziehung $v=\dfrac st$ ergibt sich genau dann, wenn die $x(t)$-Kurve eine Gerade ist. Das ist gleichbedeutend damit, dass die Bewegung gleichförmig ist. Für die Gerade können wir allgemein schreiben $x(t)=v_0 t + x_0$. Darin ist $v_0$ die Steigung der Geraden und $x_0$ ist der Ort bei t = 0. Wir erhalten die Geschwindigkeit-Zeit-Kurve durch die Zeitableitung von x(t): $v(t)=\dot x=v_0$. Die Steigung der Geraden ist die Geschwindigkeit des Objektes und diese ist in diesem Fall konstant.

Auflösen von $x(t)$ nach $v_0$ ergibt $v_0=\frac{x(t)-x_0}{t}=\frac{s(t)}{t}=v(t)$. Das ist nichts anderes als $v=\dfrac st$. Dieser Zusammenhang gilt ausschließlich für eine gleichförmige Bewegung.


In Beispiel 7 ist die Geschwindigkeit konstant. Das ist ziemlich langweilig. Damit sich eine Geschwindigkeit ändert, muss eine Beschleunigung vorhanden sein. Die lernen wir jetzt kennen.

Beschleunigung

Genau so, wie die Geschwindigkeit die Änderung des Ortes beschreibt, gibt die Beschleunigung a die Änderung der Geschwindigkeit an. Wir können in allen Zusammenhängen zwischen Ort und Geschwindigkeit den Ort durch die Geschwindigkeit und die Geschwindigkeit durch die Beschleunigung ersetzen. Dann haben wir alle Zusammenhänge zwischen Geschwindigkeit und Beschleunigung. Die Beschleunigung gibt an, wie die Änderung der Geschwindigkeit eines Objektes in einem Zeitintervall ist. Man teilt den vertikalen Abstand zweier Punkte in einem Geschwindigkeit-Zeit-Diagramm (eine Geschwindigkeitsänderung) durch ihren horizontalen Abstand (der dafür benötigten Zeit). Die Einheit der Beschleunigung ist daher $[a] =\dfrac{\text{m/s}}{\text s} =\dfrac{\text m}{\text s^2}$.

Und analog zu $v$ aus Δx (Gl.2) erhalten wir die mittlere Beschleunigung a aus Δ$v$:

Mittlere Beschleunigung

Die mittlere Beschleunigung zwischen zwei beliebigen Zeitpunkten ti und tj ist

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Mittlere Beschleunigung: $\bar a_{ij}=\frac{v({t_j})-v({t_i})}{t_j-t_i}=\frac{\Delta v_{ij} }{\Delta t}$, worin tj > ti. (Gl.5)

Der Überstrich bedeutet dabei "Mittelwert". Für die Zeiten muss wieder die Relation tj > ti (d.h. tj= nachher und ti = vorher) gelten, damit das Vorzeichen der Beschleunigung richtig ist. Wie ein Wegstück und die Geschwindigkeit hat auch die physikalische Größe "Beschleunigung" eine Richtung und ist eine vektorielle Größe. Und wie ein Wegstück und die Geschwindigkeit können wir bei einer eindimensionalen Bewegung die mittlere Beschleunigung vereinfacht als Skalar beschreiben und die Richtung durch das Vorzeichen angeben. Die Beschleunigung hat immer die gleiche Richtung und das gleiche Vorzeichen wie die Geschwindigkeitsänderung. Klären wir zuerst den Unterschied zur Alltagsbedeutung, der sich daraus ergibt.

Unterschied zur Alltagsbedeutung: Richtung und Vorzeichen

Folgende Beispiele verdeutlichen den Unterschied der physikalischen Beschleunigung (Gl.5) zur Alltagsbedeutung: Nehmen wir an, eine Ampel wird grün und ein Auto fährt an und wird schneller. Wir sagen: Es beschleunigt. Dann fährt es um eine Kurve und landet vor der nächsten Ampel, die rot ist. Das Auto wird langsamer und hält an. Wir sagen: Es bremst. Oder wir lassen einen Tennisball fallen. Richtung Boden wird er schneller, er beschleunigt. Am Boden wird er gebremst, prallt ab, steigt wieder auf und wird wieder gebremst. Den Begriff "Beschleunigung" nutzen wir im Alltag nur dann, wenn etwas schneller wird, d.h. er beschreibt immer eine Tempozunahme. Für eine Tempoabnahme verwenden wird statt dessen "bremsen" oder "Verlangsamung". Deshalb ist eine Beschleunigung in der Alltagsbedeutung immer positiv. Und wir verwenden den Begriff Beschleunigung losgelöst davon, in welche Richtung wir fahren und ob wir geradeaus oder um die Kurve fahren, jedoch immer daran gebunden, das etwas schneller wird..

In der Physik hat die Beschleunigung eine andere Bedeutung. Die physikalische Größe Beschleunigung ist an jede Form einer Geschwindigkeitsänderung gebunden, egal ob etwas schneller oder langsamer wird, ja sogar, wenn das Tempo gleich bleibt und sich nur die Richtung der Bewegung ändert. Und dadurch ergibt sich für die physikalische Beschleunigung der größte Unterschied zur Alltagsbedeutung. Denn auch die physikalische Beschleunigung hat wie Weg und Geschwindigkeit eine Richtung und ist eine vektorielle Größe. Und die Richtung der Beschleunigung ist besonders wichtig. Ohne die Richtung der Beschleunigung zu verstehen und zu beachten, könnten wir keine krummen Bahnen wie Kreisbahnen oder Flugparabeln verstehen.

Die physikalische Beschreibung unserer Beispiele lautet daher so: Wählen wir die Fahrtrichtung des Autos als positive Richtung, dann ist die Beschleunigung beim Anfahren an der Ampel positiv und beim Bremsen vor der Ampel negativ. Außerdem werden wir auch bei der Fahrt um die Kurve beschleunigt, obwohl das Tempo gleich bleibt. Hierbei ist die Beschleunigung senkrecht zur Fahrtrichtung gerichtet, und ändert nur die Richtung, d.h. sie krümmt die Bahn zur Kurve. Doch bleiben wir wieder erstmal bei der geraden Bahn. Dann können wir auch die Beschleunigung vereinfacht als Skalar auffassen und die Richtung über das Vorzeichen erfassen. Betrachten wir dazu auch den Tennisball. Wir wählen als positive Koordinatenrichtung die vom Boden aus nach oben zeigende. Der Tennisball ist ununterbrochen beschleunigt. Beim Fall ist seine Beschleunigung negativ, solange er den Boden berührt, ist seine Beschleunigung positiv, und beim Aufstieg ist seine Beschleunigung wieder negativ. Die physikalische Beschreibung deckt sich überhaupt nicht mit der Alltagsvorstellung. Anders als bei Weg und Geschwindigkeit ist das Vorzeichen der Beschleunigung nicht so leicht zuerfassen, es ist ganz schön verzwickt. Denn es ist keinesfalls so, dass es positiv ist, wenn das Objekt schneller wird, und ansonsten negativ, wie man im ersten Moment denken würde. Es hängt nämlich, wie kann es anders sein, von der Wahl der positiven Koordinatenrichtung ab. Um das Vorzeichen besser zu verstehen, betrachten wir die Beschleunigung des Tennisballs genauer.

Abb.B8 Hüpfender Tennisball mit x(t)-Kurve und $v(t)$-Kurve
Beispiel 8: Beschleunigung eines hüpfenden Tennisballs

Wir untersuchen den Fall und die Reflexion eines Tennisballs (Abb.B8). Die positive x-Richtung ist so gewählt, dass sie nach oben zeigt. Der Tennisball (Durchmesser 6,5 cm) wird zum Zeitpunkt t0 = 0,0 s aus einer Höhe von ca.1,28 m mit $v(t_0)= 0,0\ \text{m/s}$ fallen gelassen. Der Ball erhält beim Fall eine negative Geschwindigkeit. Sein Tempo nimmt zu. Bei $t_1$ = 0,50 s berührt er den Boden mit $v(t_1)$ = − 5,0 m/s. Er wird am Boden reflektiert und berührt ihn dabei bis $t_2 = 0,53\ \text s$. Direkt nach Verlassen des Bodens hat er eine positive Geschwindigkeit von $v(t_2) = 4,0\ \text{m/s}$. Anschließend bewegt sich der Ball mit abnehmendem Tempo nach oben. Bis $t_3 = 0,93\ \text s$ steigt er bis zu einer Höhe von 0,83 m, danach fällt er erneut.

  • Fall: Die mittlere Beschleunigung vom Loslassen bis zur Bodenberührung ist $\bar a_{01} = \frac{v(t_1)-v(t_0)}{t_1-t_0}=\frac{-5,0\, \text{m/s}-0,0\, \text{m/s} }{0,50\, \text s-0,0\, \text s}=-10\, \text{m/s}^2$ (etwa g). Während des Falls ist die Beschleunigung negativ. Es ist die Erdbeschleunigung g.
  • Reflexion: Die mittlere Beschleunigung während der Reflexion ist $\bar a_{12}= \frac{v(t_2)-v(t_1)}{t_2-t_1}=\frac{4,0\, \text {m/s}-(-5,0)\, \text {m/s} }{0,53\, \text s-0,50\, \text s}=\frac{9,0\ \text {m/s} }{0,03\ \text s}=300\, \text{m/s}^2$. Während der Reflexion ist die Beschleunigung nach oben gerichtet und positiv. Sie wird vom Boden erzeugt. Ihr Betrag ist fast 30ig mal größer als beim Fall.
  • Aufstieg: Die mittlere Beschleunigung während des Aufstiegs ist $\bar a_{23} = \frac{v(t_3)-v(t_2)}{t_3-t_2}=\frac{0,0\ \text {m/s}-4,0 \ \text {m/s} }{0,93\ \text s-0,53\ \text s}=\frac{-4,0 \ \text {m/s} }{0,40\ \text s}=-10\ \text{m/s}^2$. Während des Aufstiegs ist die Beschleunigung wieder nach unten gerichtet und negativ. Es ist die Erdbeschleunigung g.


Die Rechnung sollte soweit klar sein. Aber wie können wir das Vorzeichen verstehen? Sowohl beim Fall als auch beim Aufstieg ist die Beschleunigung negativ, obwohl der Ball abwärts schneller und aufwärts langsamer wird. Des Rätsels Lösung ist die folgende: Die Beschleunigung hat immer die Richtung der Geschwindigkeitsänderung. Und die Richtung der Geschwindigkeitsänderung ist die, in die die Geschwindigkeit-Zeit-Kurve verläuft. Fällt diese ab, dann ist die Beschleunigung negativ. Steigt diese an, dann ist sie positiv. So einfach ist das. Überprüfe das in Abb.B8. Denn die Beschleunigung ist nichts anderes, als die Steigung der Geschwindigkeit-Zeit-Kurve. Genauso, wie Geschwindigkeit und Ort zusammenhängen, hängen auch Beschleunigung und Geschwindigkeit zusammen.

Beschleunigung

Jetzt verlassen wir die mittlere Beschleunigung und wenden uns der Beschleunigung zu jedem Zeitpunkt ("momentane Beschleunigung") und damit der allgemeingültigen Beschleunigung zu. Mathematisch geschieht der Übergang zur kontinuierlichen Größe wieder durch die Grenzwertbildung Δt→0 für Gl. Die Beschleunigung ergibt sich vollkommen analog zur momentanten Geschwindigkeit, wodurch wir nun die Zeitableitung der Geschwindigkeit-Zeit-Kurve erhalten.

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Beschleunigung $a(t)=\underset{\Delta t\rightarrow 0}{\lim }\dfrac{v(t+\Delta t)-v(t)}{(t+\Delta t)-t}=\dfrac{dv}{dt}=\dot v(t)$ (Gl.6)
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Verständniserkenntnis
Die physikalische Größe Beschleunigung ist $a(t)=\dfrac{ {\rm d}v}{ {\rm d}t}=\dot v(t)=\ddot x(t)$. Sie ist identisch mit der momentanen Beschleunigung und wird einfach nur als Beschleunigung bezeichnet.

Spricht man in der Physik ohne Zusatz von "der Beschleunigung", dann meint man genau diesen Grenzwert! Wir haben bereits oben gesehen, dass der Verlauf der Geschwindigkeit-Zeit-Kurve, genauer ihre Steilheit, ein Maß für die Geschwindigkeitsänderung des Objektes ist. Und zwar, je steiler umso stärker ändert sich die Geschwindigkeit. Genau diese Erkenntnis steckt in Gl.6, nicht mehr und nicht weniger. Die Beschleunigung ist die Zeitableitung der Geschwindigkeit-Zeit-Kurve. Damit ist die Beschleunigung auch die zweite Zeitableitung der Ort-Zeit-Kurve.

Abb.B9: Beschleunigung als Steigung der v(t)-Kurve
Beispiel 9: Geschwindigkeit-Zeit-Kurve "lesen"

Wir "lesen" die Geschwindigkeit-Zeit-Kurve in Abb.B9. Sie zeigt die Geschwindigkeit des Tennisballs aus Abb.B8. Die "Leserichtung" ist wie immer die Zeitrichtung. Sie wird genauso gelesen, wie die Ort-Zeit-Kurve in Beispiel 5. Nur erzählen wir jetzt die Geschichte der Beschleunigung.

  • Von 0 s bis 0,5 s verläuft die $v(t)$-Kurve linear abfallend, daher ist a < 0 und konstant.
  • Von 0,5 s bis 0,53 s steigt die $v(t)$-Kurve sehr steil nahezu linear an. Daher ist a positiv, sehr groß und näherungsweise konstant.
  • Genau an den Extremstellen von $v(t)$ bei 0,50 s und 0,53 s ist die Steigung der $v(t)$-Kurve für einen Moment null. Daher ist dort auch die Beschleunigung null. Dort liegen die Nullstellen der a(t)-Kurve. Im Bereich des Minimums bei 0,50 s nimmt die Steigung sehr schnell sehr stark zu, was zu einem sprunghaften Anstieg der Beschleunigung führt. Im Bereich des Maximums bei 0,53 s nimmt die Steigung sehr schnell sehr stark ab, was zu einem sprunghaften Abfall der Beschleunigung führt.


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Verständniserkenntnis
Das Vorzeichen der Geschwindigkeit allein ist für das Vorzeichen der Beschleunigung bedeutungslos. Auch das Vorzeichen des Weges (der Bewegungsrichtung) allein ist für das Vorzeichen der Beschleunigung bedeutungslos. Und auch allein daran, ob das Objekt schneller oder langsamer wird, lässt sich das Vorzeichen der Beschleunigung nicht erkennen. Das Vorzeichen der Beschleunigung wird allein dadurch bestimmt, ob die $v(t)$-Kurve zu- oder abnimmt.

Abb.F9 Geschwindigkeit-Zeit-Kurve eines Körpers
Verständnisfrage 9: Abb.F9 zeigt die Geschwindigkeit-Zeit-Kurve eines Körpers. "Lies" die Kurve und sortiere folgende Beschleunigungen aufsteigend (kleinste zuerst): $a_A$(−2,5 s), $a_B$(0,0 s), $a_C$(2,5 s), $a_D$(3,0 s), $a_E$(5,0 s)!
$a_E < a_D < a_A = a_C <a_B$, denn für die Beschleunigung muss das Vorzeichen beachtet werden. $a_A$ und $a_C$ sind null, $a_B$ ist positiv, $a_D$ und $a_E$ sind negativ.



Beschleunigung aus Geschwindigkeit-Zeit-Kurve berechnen

Bisher haben wir uns das Verständnis des Zusammenhangs zwischen Geschwindigkeit-Zeit-Kurve und Beschleunigung-Zeit-Kurve erarbeitet. Nun schauen wir uns konkrete Berechnungen an. Für die Berechnungen gehen wir davon aus, dass die Geschwindigkeit-Zeit-Kurve als Funktion der Zeit, d.h. als $v(t)$ gegeben ist. Die Vorgehensweise ist die Gleiche wie in Beispiel 6. Wir verwenden die dort bestimmten $v(t)$-Kurven.

Abb.B9: v(t)-Kurven (oben) und ihre a(t)-Kurven (unten)
Beispiel 9: Beschleunigung aus Geschwindigkeit-Zeit-Kurve berechnen

Wir berechnen aus den drei Geschwindigkeit-Zeit-Kurven v(t) in Abb.B9 oben die Beschleunigung-Zeit-Kurven a(t), die in Abb.B9 unten gezeigt sind. Kurve A ist eine Konstante $v(t)= 2,0\ \text{m/s}$ (gleichförmige Bewegung), Kurve B ist eine Gerade $v(t)= (4,0\ \text{m/s}) t-6,0\ \text{m/s}$ (gleichmäßig beschleunigte Bewegung) und Kurve C ist eine Cosinus-Funktion $v(t)= (2\pi\ \text{m/s}) \cdot \cos(\dfrac{2\pi}{(4,0\ \text{s}) }t)$ (harmonische Schwingung). Für alle drei Kurven berechnen wir die Beschleunigung-Zeit-Kurve, indem wir die Geschwindigkeit-Zeit-Kurve nach der Zeit ableiten.
Kurve A:

  • Die Geschwindigkeit-Zeit-Kurve ist gegeben durch $v(t)=2,0\ \text {m/s}$.
  • Die Beschleunigung-Zeit-Kurve ergibt sich durch die Ableitung von v(t) nach t: $a(t)=\dot v=0,0\ \text {m/s}$.

Kurve B:

  • Die Geschwindigkeit-Zeit-Kurve ist gegeben durch $v(t)=(4,0\ \text{m/s}^2) t-6,0\ \text{m/s}$.
  • Die Beschleunigung-Zeit-Kurve ergibt sich durch die Ableitung von v(t) nach t: $a(t)=(4,0\ \text{m/s}^2)$.

Kurve C:

  • Die Geschwindigkeit-Zeit-Kurve ist gegeben durch $v(t)=(2\pi\ \text{m/s}) \cdot \cos(\dfrac{2\pi}{(4,0\ \text{s}) }t)$. Die Ableitung von $\cos(c t)$ ist $-c\cdot \sin(c t)$.
  • Die Beschleunigung-Zeit-Kurve ergibt sich durch die Ableitung von v(t) nach t: $a(t)=\dot v=-\dfrac{2\pi}{(4,0\ \text{s}) }(2\pi\ \text{m/s}) \cdot \sin(\dfrac{2\pi}{(4,0\ \text{s}) }t)=-\dfrac{(2\pi)^2}{4,0}\ \text{m/s}^2) \cdot \sin(\dfrac{2\pi}{(4,0\ \text{s}) }t)$.


Beispiel 9 zeigt nicht nur die mathematische Vorgehensweise, sondern auch wieder die drei wichtigen Formen der Bewegung:

  • Kurve A zeigt eine gleichförmige Bewegung. Sie liegt immer vor, wenn die Ort-Zeit-Kurve eine Gerade ist. Dann ist die Geschwindigkeit-Zeit-Kurve eine Konstante und die Beschleunigung-Zeit-Kurve null (die Nullinie).
  • Kurve B zeigt eine gleichmäßig beschleunigte Bewegung. Sie liegt immer vor, wenn die Ort-Zeit-Kurve eine Parabel ist. Dann ist die Geschwindigkeit-Zeit-Kurve eine Gerade und die Beschleunigung-Zeit-Kurve eine Konstante (horizontale Gerade).
  • Kurve C zeigt eine harmonische Schwingung. Sie liegt immer vor, wenn die Ort-Zeit-Kurve eine Sinus- oder Cosinusfunktion ist. Dann ist die Geschwindigkeit-Zeit-Kurve jeweils die andere Funktion (Sinus wird zum Cosinus und Cosinus zum Sinus) und die Beschleunigung-Zeit-Kurve hat wieder die Funktion der Ort-Zeit-Kurve, jedoch mit negativem Vorzeichen.

Wenn man das Grundkonzept der Kinematik, d.h., der Beschreibung von Bewegungen über die Steigungen von Kurven erkannt hat, muss man das nicht auswendig lernen, sondern es ergibt sich ganz zwanglos aus dem Verlauf der Ort-Zeit-Kurven, die wiederum einfach den zeitlichen Verlauf der Bewegung anzeigen.

Abb.B10:Geraden als v(t)-Kurven
Beispiel 10: Die Beziehung $v=a t$ aus $a=\dot v$ berechnen
Die Beziehung $v=a t$ ergibt sich genau dann, wenn die $v(t)$-Kurve eine Gerade und die $x(t)$-Kurve eine Parabel ist. Das ist gleichbedeutend damit, dass die Bewegung gleichmäßig beschleunigt ist. Für die Gerade können wir allgemein schreiben $v(t)=a t + v_0$. Darin ist $a$ die Steigung der Geraden und $v_0$ ist die Geschwindigkeit bei t = 0. Wir erhalten die Beschleunigung-Zeit-Kurve durch die Zeitableitung von v(t): $a(t)=\dot v=a$. Die Steigung der Geraden ist die Beschleunigung des Objektes und diese ist in diesem Fall konstant. Für den Fall $v_0=0$ ergibt sich aus $v(t)=a t + v_0$ unmittelbar $v=a t$. Dieser Zusammenhang gilt ausschließlich für eine gleichmäßig beschleunigte Bewegung.


Abb.F10
Verständnisfrage 10: Abb.F10 zeigt eine Ort-Zeit-Kurve. Lies daraus diesmal die Beschleunigung-Zeit-Kurve ab und sortiere folgende Zeitpunkte nach der Beschleunigung: $t_A=-1\ \text s$, $t_B=0,0\ \text s$ und $t_C=5,0\ \text s$.
$a(t_A)=a(t_B)=a(t_C)$, denn die Geschwindigkeit-Zeit-Kurve ist eine Gerade und die Beschleunigung ist die Steigung der Geraden und überall gleich.


Verständnisfrage 11: Wie kann man möglichst einfach und ohne Taschenrechner aus der Ort-Zeit-Kurve in Abb.F10 die Zahlenwerte von $v_0$ und a der Geschwindigkeit-Zeit-Kurve $v(t)=a t + v_0$ ablesen? Überlege es Dir selbst (es wurde bisher nicht erklärt!) und gib die Zahlen an!
$v_0$ ist die Steigung bei t = 0,0 s. Sie ergibt sich als mittlere Geschwindigkeit aus den Werten bei t = ±1 s. $v_0=\dfrac{x(1 \ \text s)-x(-1\ \text s)}{1\ \text s-(-1\ \text s)}=\dfrac{4\ \text m-0\ \text m}{1\ \text s-(-1\ \text s)}=\dfrac{4\ \text m}{2\ \text s}=2\ \text{m/s}$. Damit haben wir einen Punkt der $v(t)$-Geraden.

Einen zweiten Punkt erhalten wir aus dem Maximum der Ort-Zeit-Kurve, denn dort ist $v(t_{max})=0$. Für diese Kurve ist $t_{max}=2\ \text s$. Aus diesen zwei Punkten ergibt sich die Steigung der Geraden. In unserem Fall durch $a=\dfrac{v(t_{max})-v_0}{t_{max}-0\ \text s}=\dfrac{-v_0}{t_{max} }=\dfrac{-2\ \text {m/s} }{2\ \text s}=-1\ \text{m/s}^2$.

Diese einfache Methode funktioniert bei jeder Parabel.


Mathematischer Zusammenhang zwischen Ort, Geschwindigkeit und Beschleunigung

Bisher haben wir gelernt, wie man eine Geschwindigkeit-Zeit-Kurve aus einer Ort-Zeit-Kurve und eine Beschleunigung-Zeit-Kurve aus einer Geschwindigkeit-Zeit-Kurve bestimmt. Aber natürlich kann es auch vorhommen, dass wir aus einer Geschwindigkeit-Zeit-Kurve die Ort-Zeit Kurve bestimmen wollen, oder die Geschwindigkeit zu einer bestimmten Zeit, wenn nur eine Beschleunigung gegeben ist. Dazu müssen wir, wie die Umkehrung der Zeitableitung funktioniert. Die Umkehrung der Zeitableitung ist die Integration über die Zeit. (Wenn Du mit Integralen noch nicht vertraut bist, ist es jetzt höchste Zeit.) Wenn physikalische Größen über Ableitung oder Integration zusammenhängen, dann nennen wir den Zusammenhang differentiell. In "beide" Rechenrichtungen geschrieben lautet der mathematische Zusammenhang zwischen den kinematischen Größen Ort, Geschwindigkeit und Beschleunigung:

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Zusammenhang zwischen Ort und Geschwindigkei:t $v(t)=\dfrac{ {\rm d}x}{ {\rm d}t}\ \implies {\rm d}x= v\ {\rm d}t$ (Gl.7)
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Zusammenhang zwischen Geschwindigkeit und Beschleunigung: $a(t)=\dfrac{ {\rm d}v}{ {\rm d}t}\ \implies {\rm d}v= a\ {\rm d}t$ (Gl.8)

Das bedeutet, die Größen ergeben sich auseinander durch Ableiten oder Integrieren und nicht durch einfache Formeln, die mathematische Operationen wie Addition, Multiplikation oder Division enthalten. Das ist für Schüler und Studierende zuerst ungewohnt. Wie man mit solchen Zusammenhängen rechnet, findet man im Artikel Differentiale. Hier ein konkretes Beispiel.

Abb.B11
Beispiel 11: Hüpfender Tennisball im Flug

Ein hüpfender Tennisball wird während des Flugphasen mit der konstanten Erdbeschleunigung a = −g beschleunigt.
a) Bestimme durch Integration seine $v(t)$-Kurve und seins $x(t)$-Kurve während des Fluges.

b) Wenn er bei t0 = 0,0 s aus der Ruhe losgelassen wird, welchen Weg s durchfällt er im Zeitintervall von t1 = 0,20 s und t2 = 0,40 s? Rechne mit g = 10 m/s²?

Aufgabe a) lässt sich mit einem unbestimmten oder bestimmten Integral lösen. Wir nehmen das bestimmte Integral, weil es die Integrationskonstanten gleich festlegt und deshalb weniger fehleranfällig ist. Zuerst bestimmen wir $v(t)$ aus −g. Ausgehend von Gl.8 starten wir wegen $a=-g$ mit $dv= -g\ dt$. Nun müssen beide Seiten integeriert werden. Links steht das Differential $dv$, also wird dort über $v$ als Integrationsvariable integriert. Rechts steht das Differential dt, also wird dort über t als Integrationsvariable integriert. Das ergibt die unbestimmten Integrale $\int dv= \int (-g)\, dt$. Jetzt fehlen noch die Integrationsgrenzen. Für die Zeiten rechts wählt man als untere Grenze t = 0 und als obere Grenze einfach t. Links unten bzw. oben muss immer die linke Integrationsvariable stehen, die zum t rechts unten bzw. oben gehört. Das sind dann $v(t=0)$ und $v(t)$. Der Wert für t=0 bekommt per Konvention den Index 0, d.h. $v(t=0)=v_0$. Das liefert die bestimmten Integrale $\int \limits_{v_0}^{v(t)} {dv}=\int \limits_0^t (-g) \,{dt}$. Die Gleichung enthält noch einen kleiner formalen Makel: Die oberen Grenzen $v(t)$ und t haben die gleichen Bezeichnungen wie die Integrationsvariablen $v$ und t. Das lässt sich einfach beseitigen, indem man die Integrationsvariablen umbenennt. Wir hängen dazu einfach einen Strich daran [2].

  • Damit erhalten wir $\int \limits_{v_0}^{v(t)} {dv'}=\int \limits_0^t (-g) \,{dt'}$.
    Dessen Integration liefert die Geschwindigkeit-Zeit-Kurve: $\int\limits_{v_0}^{v(t)}\,dv'=\int\limits_0^t (-g)\,dt'\ \Rightarrow\ [v']_{v_0}^{v(t)}=[-gt']_0^t\ \Rightarrow\ v(t)-v_0=-gt\ \Rightarrow\ v(t)=v_0-gt$
  • Für die Ort-Zeit-Kurve gehen wir genauso vor, jedoch ausgehend von Gl.7 $dx = v\ dt$ mit $v=v(t)=v_0-gt$. Das ergibt den Ansatz $\int \limits_{x_0}^{x(t)} {dx'}=\int\limits_0^t (v_0-gt')\,dt'$.
    Dessen Integration liefert die Ort-Zeit-Kurve: $\int \limits_{x_0}^x {dx'}=\int\limits_0^t (v_0-g t') {dt'} \Rightarrow\ [x']_{x_0}^{x(t)}=[v_0 t'-\frac 1 2 {gt'}^2]_{0}^t\Rightarrow\ x-x_0=v_0 t-\frac 1 2 g t^2 \Rightarrow\ x(t)=x_0+v_0t-\frac 1 2 gt^2$

Um b) zu lösen, setzen wir $v_0 = 0$. Nun können wir entweder $s=x(t_2)-x(t_1)$ ausrechnen oder das Integral $s=\int\limits_{t_1}^{t_2} (-gt)\,dt$ lösen. Beides ergibt das gleiche Ergebnis.

  • Die Ort-Zeit-Kurve liefert $s=x(t_2)-x(t_1)=-\frac 12 g t_2^2 -(-\frac 12 g t_1^2)$. Das ergibt s = −0,80 m − (−0,20 m) = −0,60 m. Das ist genau der Weg, den wir auch aus Abb.B11 ablesen.
  • Dieser Weg entspricht dem bestimmten Integral der $v(t)$-Kurve von $t_1$ bis $t_2$, denn $s=\int \limits_{x(t_1)}^{x(t_2)} {dx}=\int\limits_{t_1}^{t_2} (-g t\,)dt \Rightarrow\ [x]_{x(t_1)}^{x(t_2)}=[-\frac 1 2 {gt}^2]_{t_1}^{t_2}\Rightarrow\ x(t_2)-x(t_1)=-\frac 1 2 g t_2^2-(-\frac 1 2 g t_1^2)$. Es ist anschaulich die Fläche, die in diesem Zeitbereich zwischen der $v(t)$-Kurve und der t-Achse liegt. Die Fläche können wir in Abb.B11 durch "Kästchen zählen" bestimmen: es sind genau 12 Kästchen unterhalb der t-Achse. Aus den Achseneinteilungen lesen wir ab, dass ein Kästchen der Weglänge Δs = (1,0 m/s)(0,05 s)=0,05 m entspricht. Deshalb sind 12 Kästchen eine Weglänge von (12)(0,05 m)=0,60 m. Weil die Kästchen unterhalb der t-Achse liegen, ist dieser Weg negativ und wir erhalten ebenfalls s = - 0,60 m. Zum Verständnis der Physik ist es sehr hilfreich, diese Bedeutungen von Integration als "Fläche zwischen Kurve und Achse" zu verstehen.


Verständnisfrage 12: Die Geschwindigkeit eines Körpers kann durch die Geschwindigkeit-Zeit-Funktion $v(t)=\frac{2\pi}{4}\frac{\text{m} }{\text{s} }\times \cos(\frac{2\pi}{4\text{ s} }\ t)$ beschrieben werden. Bei t = 0 s ist er bei x = 0 m. Gib Ort und Geschwindigkeit des Körpers zum Zeitpunkt t = 2 s an!
$x(t)=\int\limits_0^t \frac{2\pi}{4}\frac{\text{m} }{\text{s} }\times \cos(\frac{2\pi}{4\text{ s} }\ t) dt=1\text{ m}\times \sin(\frac{2\pi}{4\text{ s} }\ t)$. Für den Ort ergibt sich $x(t)=1\text{ m}\times \sin(\underbrace{\dfrac{2\pi}{4\text{ s} }\times 2\text{ s} }_{\pi})=0\text{ m}$, denn sin(π) = 0. Für die Geschwindigkeit ergibt sich $v(2 s)=\frac{2\pi}{4}\frac{\text{m} }{\text{s} }\times \cos(\frac{2\pi}{4\text{ s} }\times 2\text{ s})=-\frac{\pi}{2} \frac{\text{m} }{\text{s} }$, denn cos(π)= −1


Modellbewegungen

Die Eigenschaft der Beschleunigung bestimmt die Art der Bewegung. Für gleichartige Beschleunigungen ergeben sich auch gleichartige Bewegungen. Drei spezielle Arten der Beschleunigung sind besonders wichtig. Sie erzeugen drei grundlegende physikalische Modellbewegungen, die die Basis zur Beschreibung von komplizierteren Bewegungen und dreidimensionalen Bewegungen bilden:

Aus diesen drei grundlegenden Modellbewegungen setzen sich auch Bewegungen im Raum, wie der schiefe Wurf, die Kreisbewegung oder eine Spiralbahn zusammen.

Ort, Geschwindigkeit und Beschleunigung in drei Dimensionen

Bisher haben wir die Größen Ort, Geschwindigkeit und Beschleunigung nur für Bewegungen kennengelernt, die sich einer geraden Linie abspielen. Anders ausgedrückt sind das eindimesionale Bewegungen, die nur entlang einer Raumkoordinate stattfinden. Im allgemeinen Fall können Bewegungen natürlich auch auf krummen Bahnen stattfinden. Man denke nur an den schiefen Wurf oder die Bewegung der Erde um die Sonne auf einer Kreisbahn oder die Bewegung eines geladenen Teilchens im Erdmagnetfeld auf einer Spiralbahn. Das sind zwei- und dreidemensionale Bewegungen. Unsere bisherigen Definitionen gelten auch für diese Fälle, indem man beachtet, dass die drei Größen Ort, Geschwindigkeit und Beschleunigung Vektoren sind. Allgemeingültig und vektoriell geschrieben lauten die Größen

Ortsvektor

$\vec r(t)=\left (\matrix{x(t)\cr y(t)\cr z(t)} \right)$

Geschwindigkeitsvektor

$\vec v(t)=\dot {\vec r}(t)=\left(\matrix{v_x(t)\cr v_y(t)\cr v_z(t)} \right)=\left (\matrix{\dot x(t)\cr \dot y(t)\cr \dot z(t)} \right)$

Beschleunigungsvektor

$\vec a(t)=\dot {\vec v}(t)=\ddot {\vec r}(t)=\left(\matrix{a_x(t)\cr a_y(t)\cr a_z(t)} \right)=\left(\matrix{\dot v_x(t)\cr \dot v_y(t)\cr \dot v_z(t)} \right)=\left (\matrix{\ddot x(t)\cr \ddot y(t)\cr \ddot z(t)} \right)$
Um dreidimensionale Bewegungen auch mathematisch behandeln zu können, muss man deshalb den Umgang und das Rechnen mit Vektoren beherrschen.


  1. Seite „Michael Faraday“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 24. Juni 2020, 10:02 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Michael_Faraday&oldid=201261126 (Abgerufen: 14. Oktober 2020, 04:58 UTC)
  2. Die Grenzen sollten andere Bezeichnungen haben als die Integrationsvariablen, denn sie sind nicht das Gleiche. Die Grenze steht für einen bestimmten Wert und die Integrationsvariable für einen unbestimmten Wert innerhalb eines Wertebereichs. Wenn wir die Integrationsvariablen statt der Grenzen umbenennen, dann steht am Ende unser Ergebnis wie gewünscht durch $v$ und t ausgedrückt da. Würde man statt dessen die Grenzen umbenennen, würde am Ende das Ergebnis durch $v'$ und $t'$ ausgedrückt dastehen. Das ist unschön, jedoch nicht falsch.